Ausland24. April 2020

Vor 75 Jahren

Ende eines Diktators

Der »Duce« wurde hingerichtet. Aber die Saat blieb fruchtbar noch

Am 28. April 1945 wurde der faschistische Diktator Mussolini bei der Ortschaft Dongo nahe der Schweizer Grenze hingerichtet. Ein dazu legitimiertes und von den Alliierten als Organ der italienischen nationalen Einheitsregierung anerkanntes Tribunal des Nationalen Befreiungskomitees für Norditalien (CLNAI) hatte ihn zum Tode verurteilt.

Grundlage waren die Ju­stizdekrete des CLNAI. Artikel 1 lautete: »Die Mitglieder der faschistischen Regierung und die Inhaber höchster Parteiämter des Faschismus (…) werden mit dem Tode und in weniger schweren Fällen mit Zuchthaus bestraft. Sie sind für schuldig befunden worden, zur Unterdrückung der verfassungsmäßigen Garantien das faschistische Regime geschaffen, das Land in Schande gebracht, seine Geschicke verraten und es in die gegenwärtige Katastrophe geführt zu haben.«
Artikel 7 legte fest, daß für die nach dem 8. September 1943 – also für die Zeit nach der Bekanntgabe des Waffenstillstands der Mussolini-Armee und des Austritts Italiens aus dem faschistischen Bündnis mit Deutschland – in Kollaboration mit den deutschen faschi­stischen Okkupanten gegen den italienischen Staat und die Sache der nationalen Befreiung begangenen Verbrechen die danach gültigen Militärgesetze anzuwenden sind.

Mussolini wollte unter dem Schutz einer SS-Abteilung mit mehreren Ministern, darunter Kriegsminister Marschall Rodolfo Graziani, und seiner Geliebte Clara Petacci in die Schweiz flüchten. Graziani verließ ihn bei Como und stellte sich in der Schweiz den Vertretern der USA. Die Autokolonne mit dem »Duce« wurde in der Frühe des 27. April hinter Como bei der Ortschaft Dongo von einer Partisanenabteilung gestoppt. Gegen die Gewährung der Weiterfahrt übergab die SS-Einheit Mussolini, der sich einen deutschen Militärmantel übergezogen und einen Stahlhelm aufgesetzt hatte, mit seiner Begleitung den Partisanen. Das zentrale Befreiungskomitee (CLN) in Mailand beauftragte den Kommandeur der Garibaldi-Brigaden der PCI, Oberst Walter Audisio (Kampfname Valerio), mit der Vollstreckung der Todesurteile.

In seiner Autobiographie »In Nome del Popolo italiano« (Im Namen des italienischen Volkes, Mailand 1975) hat Walter Audisio dargelegt, wie die Hinrichtung vor sich ging. Nachdem Mussolini vor die Mauer der Villa Belmonte gebracht worden waren, stellte sich der Partisanen-Kommandeur zusammen mit dem Politischen Kommissar der 52. Garibaldi-Brigade mit dem »Nom de guerre« Pietro und einem weiteren Partisan namens Guido vor Mussolini und verlas das Todesurteil des CLNAI.
Anschließend erklärte er: »Im Namen des Generalkommandos des Korps der Freiwilligen der Freiheit bin ich beauftragt, dem italienischen Volk Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.« Als Audisio das Urteil selbst vollstrecken wollte, hatte seine MPi eine Ladehemmung. Er nahm die Waffe von Pietro und gab auf Mussolini fünf Schüsse ab. Das Protokoll vermerkte, es war 16.10 Uhr, 28. April 1945.

Mit Mussolini wurden u.a. hingerichtet: der Sekretär der faschistischen Partei, Alessandro Pavolini, ebenso Kulturminister Fernando Mezzasoma und Innenminister Paolo Zerbino. Erschossen wurde auch Clara Petacci. Da gegen sie kein Todesurteil vorlag, versuchten faschistische Kräfte nach 1945, Audisio vor Gericht zu stellen. Die Verteidigung machte geltend, daß die Hinrichtung während eines Ausnahmezustands vollzogen wurde, die Geliebte des »Duce« eine aktive Politik betrieben, eng mit der Gestapo u.a. Organen des Besatzungsregimes kollaboriert und sich geweigert hatte, den Verurteilten zu verlassen. Darüber hinaus war Walter Audisio zum Zeitpunkt der Klage bereits Abgeordneter, und das Parlament hob seine Immunität nicht auf.

Am 28. April wurden in Mailand die Todesurteile an dem Vorgänger Pavolinis als Sekretär des Partito Nazionale Fascista (PNF), Achille Starace und an dem Mitbegründer der faschistischen Bewegung Roberto Farinacci vollstreckt. Farinacci war Organisator des »Marsches auf Rom« und damit des Putsches zur Machtübernahme Mussolinis im Oktober 1922. Insgesamt wurden 1732 auf der Grundlage der Dekrete des CLNAI gefällte Urteile an Faschisten, die der Aufforderung, die Waffen niederzulegen und sich zu ergeben, nicht nachgekommen waren, vollstreckt.

Audisio erläuterte, warum er die Vollstreckung des Todesurteils selbst vornahm und kein Exekutionskommando zusammengestellt wurde. Das USA-Kommando hatte angeordnet, Mussolini bei seiner Festnahme zu überstellen. Der Justiz-Erlaß des CLNAI hatte dagegen festgelegt: »Aus einsehbaren Gründen der Würde muß es das italienische Volk selbst sein, das gegenüber den Verantwortlichen des faschistischen Regimes und des imperialistischen Abenteuers die erforderlichen Strafen anwendet.« »Wir wollten« so Audisio, »verhindern, daß Mussolini den Amerikanern in die Hände fällt«, die nur noch eine halbe Stunde von Dongo entfernt waren.

Carlo Sforza, Außenminister in der im Mai 1947 von Alcide De Gasperi gebildeten Regierung, sagte zur Hinrichtung Mussolinis: »Die unmittelbare Liquidierung von Mussolini war die legitimste und gerechteste Handlung der letzten Jahre. Wenn wir ihn vor ehrliche und strenge Richter gestellt hätten, hätte er Italien angeklagt und diffamiert. Keine Exekution war notwendiger als diese.«

Die Leichen Mussolinis und seiner Komplizen wurden nach Mailand gebracht und auf der Piazzale Loreto mit den Köpfen nach unten aufgehängt. Am selben Ort hatten Mussolinis »Schwarzhemden« am 12. August 1944 fünfzehn ermordete Geiseln genauso zur Schau gestellt.

Das alliierte Kommando erhob gegen die Hinrichtung Mussolinis keine Einwände. Oberst Charles Poletti von der alliierten Militärregierung gab am 30. April in der Präfektur von Mailand für das CLNAI und eine Partisanenabordnung einen Empfang, auf dem er erklärte: »Wir haben in Mailand alles in ausgezeichneter Disziplin vorgefunden. Wir sind auch auf der Piazzale Loreto gewesen und haben dem CLN und den Partisanen unsere vollste Anerkennung für ihre bewundernswerte Operation ausgedrückt.«

An diesem 75. Jahrestag des Sieges über den Faschismus stellt sich die Frage: Wie konnte es erneut geschehen, daß der Faschismus nach 1945 wieder sein Haupt erheben und 49 Jahre später, im April 1994, das Mitglied der faschistischen Putschloge »Propaganda due« (P2), Silvio Berlusconi, mit den MSI-Faschisten, einer Mussolini-Nachfolge-Partei, und der rassistischen Lega Nord einen »Governo nero« bilden, wie das »Manifesto« am 15. Mai 1994 diese »Schwarze Regierung« charakterisierte. Mit Unterbrechungen konnte diese Regierung zwölf Jahre, bis zum 11. November 2011, das Land »in der Tradition des übelsten faschistischen Erbes« (so Nobelpreisträger Dario Fo und Umberto Eco) beherrschen.

Bertolt Brecht prägte dafür in seinem Parabelstück »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« die Worte: »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!« Der Faschismus konnte erneut erstehen, weil er wieder gebraucht wurde. Im Inneren, um den Vormarsch von Kommunisten und Sozialisten auf eine antifaschistisch-demokratische Umgestaltung zu verhindern. Eine solche Ordnung wäre nach außen zum Haupthindernis in dem von den USA eröffneten Kalten Krieg gegen die UdSSR, in dem Italien noch vor der NATO-Gründung die Südflanke bildete, geworden. Um diese demokratische Umgestaltung zu verhindern, fanden sich die USA und die innere Reaktion zusammen und retteten den Faschismus über seine Niederlage hinweg, hielten die Faschisten in Reserve, damit sie 1994 selbst die Regierung übernehmen konnten, um eine Regierung der sozialdemokratischen Linkspartei zu verhindern.

Gerhard Feldbauer

Das letzte Foto des lebenden Diktators: Benito Mussolini am 25. April 1945 in Mailand