Italien steht 2022 vor »Schockpreiserhöhungen«
Allein für Strom und Gas werde eine »typische Familie« 2.141 Euro mehr zu berappen haben. Gewerkschaften protestieren mit »No Draghi Day«
Nach Berichten des staatlichen Statistikamtes ISTAT steht Italien 2022 vor einer »Rekord-Inflation«, mit den »höchsten Werten der letzten 13 Jahre«. Die vorläufigen Schätzungen der Behörde sagen einen Anstieg der Lebenshaltungskosten um 3,8 Prozent im Laufe des Jahres voraus, der aber bald auf über 4 Prozent steigen könnte. Im Oktober waren es 3 Prozent, »der höchste Wert seit September 2008«. In nur einem Monat sind die Preise um 0,7 Prozent gestiegen, heißt es in dem alarmierenden Bericht, der gleichzeitig einen Anteil der Arbeitslosen von 9,4 Prozent nennt, ein Ansteigen allein im Oktober um 200.000.
Dramatisch ist die Lage der mittelständischen Betriebe, von denen allein im Oktober 270.000 schließen mußten, und die Gesamtzahl der in den Ruin getriebenen Selbständigen stieg laut ISTAT gegenüber dem Vorjahr um eine Million auf 4,9 Millionen.
Zu den »Schockpreiserhöhungen«, die die »Lebenshaltungskosten« in die Höhe treiben, werden laut der Agentur Nomisma Energia die Energiekosten beitragen. Sie könnten, wie ihr Präsident Davide Tabarelli mitteilte, »bis zu 25 Prozent steigen, darunter ab Januar Gas um mindestens 50 Prozent, Strom um 17 Prozent, aber vielleicht sogar um 25 Prozent. Der Preis von 0,95 Euro pro Kubikmeter Gas vom Oktober könne Januar-März 2022 1,40 Euro erreichen. Gleiches gelte für die Stromrechnung, die direkt vom Methanpreis abhängt.
Diese Preistreiberei resultiere daraus, daß »die Märkte in den Händen von Spekulanten sind« und die Politik nichts unternehme, so der Experte. Zwei oder drei Milliarden Euro, die die Regierung zur Stützung der Haushalte bereitstellen wolle, seien »eine zu geringe Summe«.
Das linke »Manifesto« erläutert, daß dazu wenigstens zehn Milliarden Euro für erforderlich wären. Und auch das angekündigte Erlassen der Mehrwertsteuer für Gas bleibe für die Haushalte ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn, so hat das linke Blatt errechnet, eine »typische Familie« werde 2022 allein bei den Energierechnungen einen Anstieg von 1.227 Euro auf den Rekordwert von 3.368 Euro zu bezahlen haben, also immerhin 2.141 Euro mehr. Die Teuerung sei in Italien seit 2008 noch nie so hoch gewesen. »Manifesto« rechnet damit, daß »diese Inflation nicht vorübergehend ist«. Denn sie sei das Ergebnis der von Draghi betriebenen Doppelgesichtigkeit der Politik des »Wachstums«, in der die Kaufkraft der Löhne, die bereits von früheren Krisen aufgezehrt wurde, bewußt niedrig gehalten wird. Diese Wirtschaftspolitik tue alles zugunsten der Unternehmer, schließe Senkung der Steuern für die herrschende Klasse und die »obere Mittelschicht ein, und führe gleichzeitig wegen sehr niedriger Löhne zu Massenprekarität.
Dank dieser Linie von Premierminister Draghi komme »das Geld aus der EU«, denn »sonst würden sie es uns nicht geben«, kommentiert das kommunistische Onlineportal »Contropiano«. Aber selbst die EZB, die jahrzehntelang mit Draghi an der Spitze die Rolle des »Hüters des Sparens« einnahm, wisse »angesichts der plötzlich allgegenwärtigen und überall virulenten Inflation nicht mehr, was sie tun soll«.
Contropiano bezeichnet die Rekord-Inflation als Resultat des »kriminellen Managements der Pandemie«, der Durchsetzung der Richtlinien der EU mit »Tränen und Blut«, in der Italien zu einem »privilegierten Versuchskaninchen« und einem »Ort des Experimentierens« gemacht wurde.
Gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitenden Menschen haben die Basis-Gewerkschaften für den heutigen Samstag zu Protestdemonstrationen in ganz Italien – von Mailand, Genua, Turin über Rom bis Neapel und Palermo – unter der Losung »No Draghi Day« aufgerufen. Der u.a. von allen COBAS-Organisationen, von OFF MARKET, ORSA, SGB, USI-CIT erlassene Aufruf entlarvt die wirtschaftlichen Maßnahmen der Draghi-Regierung – Entlassungen, Privatisierungen – als einen neuen Angriff auf die Lebensbedingungen der schwächsten sozialen Sektoren, während gleichzeitig die großen Unternehmen zusätzliche Finanzeinnahmen erhalten.