Kämpfe in Kamischli
Kurdische Sicherheitskräfte attackierten syrische Milizen
Ein Konflikt zwischen den Sicherheitskräften Asayish, eine Art Sondereinatzkräfte der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) in Teilen Nordostsyriens, und den Nationalen Verteidigungskräften (NDF), einer Miliz, die mit der syrischen Armee kooperiert, hat seit dem 20. April zu heftigen Kämpfen geführt. Rund 20.000 Einwohner aus verschiedenen Stadtvierteln von Kamischli sind auf der Flucht, 30 Personen sollen getötet worden sein.
Russische Militärpolizei positionierte sich zwischen den Fronten und vermittelte einen Waffenstillstand. Die UNO-Vertretung in Damaskus forderte alle Seiten auf, die Kämpfe einzustellen.
In zahlreichen Videoaufnahmen von North Press, einer ausländischen Nachrichtenagentur unklarer Herkunft, und von der kurdischen Agentur Hawarnews (ANHA) wurden Asayish-Kämpfer gezeigt, die Positionen halten, schießen, oder mit einem Humvee, einem Militzärfahrzeug US-amerikanischer Produktion, und weiteren gepanzerten Fahrzeugen mit gehißter Asayish-Flagge durch Straßen patrouillieren.
Nach einer Woche schienen sich die NDF-Milizen zurückgezogen zu haben, die kurdischen Asayish präsentieren sich als Sieger. Kurdische Medien geben an, die Kämpfe seien beendet worden, der Stadtteil Tayy werde von Asayish und SDF kontrolliert, die Bevölkerung kehre zurück. Illustriert wird der Bericht von einem Foto, auf dem eine Kämpferin zu sehen ist, die ein Kind vor die Kamera hebt.
Der Gouverneur von Hasakeh Ghassan Khalil sagte gegenüber der syrischen Tageszeitung »Al Watan« am vergangenen Mittwoch, die Lage in Tayy sei ruhig. Das Abkommen, das unter Vermittlung Rußlands zustande gekommen sei, habe Bestand, werde aber von den »Qasd Milizen« (SDF) nur schleppend umgesetzt. Vereinbart worden sei, daß alle bewaffneten Milizen sich aus dem Stadtteil Tayy zurückziehen sollten, damit die Lage wie vor den Kämpfen wieder hergestellt werde. Alle Straßen sollten geöffnet werden, die russische Militärpolizei solle die Umsetzung der Vereinbarung kontrollieren. Der Stadtteil Tayy solle wieder vom syrischen Staat kontrolliert werden, die syrische Polizei sei dort für die Sicherheit zuständig. Gespräche zur Umsetzung der Vereinbarung würden fortgesetzt, die kurdischen Milizen spielten jedoch auf Zeit.
Hintergrund
Der Auslöser der Kämpfe wird je nach Akteuren verschieden dargestellt. Nach russischen Quellen (southfront.org) gaben die Asayish an, die NDF-Milizen hätten einen Asayish-Kontrollpunkt im Bezirk Tayy in Kamischli angegriffen. Einer ihrer Offiziere sei getötet worden, Asayish habe daraufhin Stellungen der NDF in dem Bezirk angegriffen.
Scheich Mohamad al-Fars, Führer des Tayy-Stammes in Kamischli habe dagegen berichtet, Asayish Milizen hätten auf den Führer einer NDF-Einheit gefeuert, als dieser einen Kranken zum Hospital bringen wollte. Der Mann wurde von Asayish beschuldigt, die Ausgangssperre mißachtet zu haben, die von den kurdischen SDF wegen COVID-19 verhängt worden war.
Der Disput hätte leicht gelöst werden können, Vermittler vieler Seiten boten ihre guten Dienste an. Daß die Lage dennoch eskalierte, könnte darauf hindeuten, daß die Kämpfe von dritter, interessierter Seite geschürt worden sein könnten mit dem Ziel, nicht nur NDF, sondern auch Syrer allgemein zurückzudrängen oder aus Kamischli zu vertreiben, die weiterhin die Regierung in Damaskus unterstützen. Ein Ziel der Aktion könnte sein, daß die Präsidentschaftswahlen, die für den 26. Mai angesetzt wurden, in Kamischli be- oder verhindert werden sollen.
Gegründet unter französischem Mandat
Kamischli liegt unmittelbar an der syrisch-türkischen Grenze im Nordosten Syriens. Auf der türkischen Seite liegt Nusaybin. Die Stadt war in den 1920er Jahren von den französischen Mandatsbehörden gebaut worden, die dort Armenier, Kurden, Jesiden und Assyrer ansiedelten, die vor Verfolgung aus der Türkei geflohen waren.
1946 wurde Syrien unabhängig, die französische Mandatsmacht mußte abziehen. Viele der in den 1920er Jahren nach Kamischli zugewanderten Kurden, Jesiden, Assyrer und Armenier wurden eingebürgert.
Kamischli gehört zur nordostsyrischen Provinz Hasakeh und verfügt über einen Flughafen, über den bis heute eine Verbindung zwischen Kamischli und Damaskus gehalten wird. Seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 wurde die Präsenz syrischer Truppen in der Region reduziert, Zivilbehörden blieben und kooperierten für die Strom- und Wasserversorgung mit den erstarkenden kurdischen Strukturen. Ziel der syrischen Behörden war und ist bis heute auch, die Versorgung des Landes mit Weizen aus der Provinz Hasakeh sicherzustellen, die als Brotkorb des Landes gilt. Auch Baumwolle wird dort angebaut. Im Nordosten bei Rmeilan, Schadadi befinden sich zudem einige der größten syrischen Ölfelder.
Streit um Ressourcen Syriens
Die wachsende Kooperation der kurdischen Strukturen mit den USA-Truppen und der von den USA geführten »Anti-IS-Allianz« seit 2015 geht inzwischen weit über den Kampf gegen den »IS« hinaus. Deutlich wird das in der Besetzung syrischer Ölfelder durch die USA-Truppen und durch die Gründung von kurdisch dominierten Unternehmen, die – in Kooperation mit den nordirakischen Kurden und mit USA-Firmen – lebenswichtige Ressourcen Syriens – Öl, Weizen und Baumwolle – vermarkten. Die Lieferung der Rohstoffe in die Gebiete des Landes unter vollständiger Kontrolle der Regierung wird behindert oder ganz gestoppt. Dadurch werden die Korruption und auch der Schmuggel vor allem des Öls nach Syrien, aber auch in die von den bewaffneten Islamisten der Hayat Tahrir al-Scham kontrollierte Provinz Idlib befördert.
Politisch fordern die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte weitgehende Autonomie, einschließlich einer eigenen Außenpolitik und die Kontrolle über die syrischen Ressourcen. Nach den Plänen der USA und der »Kleinen Syriengruppe« (USA, Britannien, Frankreich, Deutschland, Jordanien, Saudi Arabien) soll aus dem Gebiet eine »Euphrat-Provinz« werden. Eine »multiethnische« Administration unter kurdischer Führung soll diese neue Provinz leiten und bei den von der UNO geführten Gesprächen in Genf zwischen Teilen der syrischen Opposition und der Regierung vertreten.
Arabische Stämme gespalten
Das Vorgehen der Syrischen Demokratischen Kräfte ist in den betroffenen Provinzen Aleppo, Hasakeh und Deir Ez-Zor umstritten. Die mehrheitlich arabische Stammesbevölkerung, die bis in den Irak hinein siedelt, ist gespalten und erliegt häufig dem Werben und vor allem den Geld- und Waffenlieferungen ausländischer Akteure. Konkret sind hier Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu nennen, die im Norden und Osten Syriens im Auftrag der USA und Israels agieren. Bei den jüngsten Kämpfen in Kamischli unterstützten diese Stammesvertreter demonstrativ die kurdischen Milizen.
Inzwischen hat sich auch eine starke Allianz entwickelt, die den kurdischen Strukturen entgegentreten und die staatliche Kontrolle der Gebiete mit Damaskus wieder herstellen will. Sie verhindert nicht nur die Zwangsrekrutierung ihrer Jugend durch die kurdischen Milizen, sie verteidigt ihre Interessen auch zunehmend bewaffnet und kooperiert mit der syrischen Armee und Milizen, die im Laufe des Krieges zur Unterstützung der Armee entstanden waren. Geprägt von diesem Konflikt haben Überfälle und Morde, Entführungen, Drohungen und Proteste in den Städten der Provinz Hasakeh zugenommen. Beide Seiten machen sich gegenseitig dafür verantwortlich.
Die Nationalen Verteidigungskräfte sind eine Miliz, die in vielen Teilen Syriens im Einsatz ist. In Kamischli kontrolliert NDF teilweise mit syrischen Streitkräften den Flughafen und einige Stadtviertel. Es besteht eine Kooperation mit der russischen Militärpolizei, die auch die Verbindung zu den kurdischen Kräften hält.