Fünf-Sterne-Partei will die Kurve kriegen
Virginia Raggi meldet Kandidatur zur Wiederwahl als Bürgermeisterin von Rom an
Die Bürgermeisterin von Rom, Virginia Raggi von der Fünf Sterne-Bewegung (M5S) hat ihre Kandidatur zur Wiederwahl angemeldet, berichtete die italienische Nachrichtenagentur ANSA am Dienstag. Der Urnengang müßte im Juni nächsten Jahres stattfinden, ein genauer Termin ist noch nicht bekannt. Die Selbstnominierung der 42-jährigen Juristin bedarf noch der Bestätigung der Parteiführung, die in einer Online-Abstimmung der Mitglieder erfolgen soll, wird aber bereits von M5S-Gründer Beppe Grillo, dem amtierenden Parteichef Vito Crimi und seinem Vorgänger im Amt, Luigi Di Maio, Außenminister in der Regierung von Giuseppe Conte mit den Sozialdemokraten des Partito Democratico (PD), unterstützt.
Sollte Virginia Raggi keine Zustimmung der Bewegung erhalten, werde sie allein antreten, berichtete ANSA am Mittwoch. Die frühe Ankündigung dürfte bezwecken, ihrer von einer tiefen Krise erfaßten Partei Auftrieb zu geben und bei den Wählern ihrer linken Basis verlorenes Vertrauen zurück zu gewinnen. Manche Beobachter sprechen auch davon, daß es um ihre Existenz gehe.
Ein Auffangbecken für Enttäuschte
Als Virginia Raggi 2016 zum ersten Mal kandidierte, war die 2009 von dem Komiker Grille gegründete Sterne-Partei noch der Hoffnungsträger für eine Wende nach links im Kampf gegen die von der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Silvio Berlusconi, der Lega Matteo Salvinis und der Brüder Italiens (FdI) von Georgia Meloni ausgehenden faschistischen Gefahr.
M5S war ein Auffangbecken für enttäuschte frühere Kommunisten, Sozialisten und Linksdemokraten, die die Fusion ihrer Partei 2008 mit der katholischen Zentrumspartei Margherita zum Partito Democratico nicht mitmachten. M5S griff vernachlässigte Themen wie Meinungsfreiheit und Korruption, Wasserversorgung, Energiepolitik, Bildung und Gesundheitswesen auf – woraus Fünf Sterne abgeleitet wurden. Grillo polemisierte gegen verschärfte Ausbeutung und wachsende Arbeitslosigkeit, gegen Wahlkampfkostenerstattung und forderte Diätenkürzungen.
Während er das kapitalistische System nicht grundsätzlich ablehnte, kritisierte er dessen Auswüchse mit einer Radikalität, die bei Linken, einschließlich vieler Kommunisten, kaum noch anzutreffen war. Schon kurz nach der Gründung zählte M5S mehr als 50.000 Mitglieder. Seit den Wahlen 2012 stellte die Protestbewegung vier Bürgermeister, darunter in Parma, war in zahlreichen Parlamenten der Gemeinden und in den Regionen in Piemont, Reggio Emilia und Sizilien vertreten. Auf Anhieb schaffte es die Bewegung bei den Wahlen 2013 mit 25,56 Prozent Wählern auf den dritten Platz in Senat und Abgeordnetenkammer.
Wahlhilfe von Rechtsaußen
Daß der linke Lack bei der Wahl von Virginia Raggi 2016 in Rom schon blätterte, wurde besonders deutlich, als sie im zweiten Wahlgang den Sprung ins Campidoglio nur mit den rund 22 Prozent Stimmen der faschistischen Brüder Italiens (FdI) schaffte. Sie hatte nichts dagegen einzuwenden, daß Lega-Chef Salvini zur Stimmabgabe zu ihren Gunsten aufgerufen hatte. Nach der Wahl zeigte sie sich erkenntlich und behielt lange Zeit mindestens drei Mitarbeiter des früheren Bürgermeisters Giovanni Alemanno (2008 bis 2013) von der Alleanza Nazionale – AN (aus der die FdI hervorgingen) im Amt.
Dem Ex-Bürgermeister wurde vorgeworfen, an dem Verbrechersyndikat »Mafia Capitale« mitgewirkt zu haben, dem 46 Komplizen in der Stadtverwaltung und im Parlament von Rom angehörten. Es störte Frau Raggi auch nicht, daß Alemanno zuvor Minister in der Regierung Berlusconis war, den ihr Parteichef Grillo immer als übelsten Feind der Demokratie attackiert hatte. Die Staatsanwaltschaft von Rom ermittelte deshalb gegen sie wegen des Verdachts des Amtsmißbrauchs und der Falschaussage.
Ein weiterer Skandal war, daß die M5S-Bürgermeisterin von Rom eine Straße nach Giorgio Almirante benennen lassen wollte, dem Mitbegründer der Mussolini-Nachfolgerpartei MSI, aus der die AN hervorging. Der hatte noch als Staatsekretär Mussolinis vor Kriegsende einen »Genickschußbefehl« gegen Partisanen erlassen. Erst nach entschiedenen antifaschistischen Protesten mußte sie ihre Zustimmung zurückziehen. Das linke »Manifesto« erinnerte am Mittwoch daran, daß Raggi mehrfach faschistischen Forderungen nachkam, Sinti und Roma aus ihren Unterkünften zu vertreiben.
Kungelei mit Salvini & Co.
Die pure demagogische Tarnung mit einer linken Anhängerschaft wurde sichtbar, als M5S nach einem Wahlsieg von gut 32 Prozent bei den Parlamentswahlen im März 2018 mit der faschistischen Lega eine Regierung bildete, in der M5S-Chef Di Maio neben Lega-Chef Matteo Salvini Vizepremier wurde. Salvini verfolgte als Innenminister nicht nur gegen Flüchtlinge einen Kurs der »geschlossenen Häfen«, sondern entfesselte eine regelrechte Hetzjagd gegen sie und gegen Seenotretter. Im Rahmen dieser Flüchtlingsabwehr wurde Rettungsschiffen mit Flüchtlingen an Bord tage- und sogar wochenlang die Einfahrt in Häfen auf Sizilien verweigert, so der »Diciotti« mit 177 Menschen, der »Open Arms« mit 363 oder der »Gregoretti« mit 131 Flüchtlingen. Wegen dieser Vergehen, die den Tatbestand der Freiheitsberaubung und des Amtsmißbrauchs erfüllen, laufen Prozesse auf Sizilien gegen den früheren Innenminister.
Die sich demagogisch »gelb-grün« apostrophierende Regierung kopiere »in beängstigender Weise den historischen Faschismus«, schätzte der Professor für Philosophie und antifaschistische Publizist Giuseppe Aragno ein. Während Salvini, der die Faschisten der vor allem in Rom aktiven Partei Casa Pound die Drecksarbeit verrichten ließ und Bürgerwehren zur Jagd auf Migranten aufstellte, an »die aus dem Terror Mussolinis bekannten Schlägertrupps«, erinnere, seien die Schützenhilfe der M5S für die Lega »typische Stützen, der sich der einst aus den Reihen der Sozialisten kommende Mussolini bediente«.
Daß Staatspräsident Sergio Mattatella in der Hoffnung, Salvini zu zügeln, den parteilosen Juristen Giuseppe Conte an die Spitze dieser Regierung gestellt hatte, half zunächst, mit dem linken Anstrich von M5S, die faschistischen Tendenzen dieses Kabinetts etwas zu kaschieren. Als Salvini jedoch im Juli 2019 dazu ansetzte, Conte über Neuwahlen zu stürzen, um selbst Ministerpräsident zu werden, riß dem Premier der Geduldsfaden. Er kündigte an, eine neue Regierung aus M5S und der PD zu bilden und stellte sich dazu der Vertrauensfrage.
Zerwürfnisse in der Sterne-Partei
Nachdem ihm die Abgeordnetenkammer und der Senat das Vertrauen ausgesprochen hatten, bildete er die Regierung »Conte Zwei«. Die Sternepartei stimmte unter dem Druck ihrer linken Basis zu, da sie bei Neuwahlen mit einer Niederlage rechnen mußte. Diese Befürchtung wurde bei mehreren Niederlagen in Regionalwahlen bestätigt, bei denen M5S bis auf acht Prozent absackte.
Nach dem Ende der Koalition mit der Lega formierte sich eine Dissidenten-Gruppe, die in einem »Florenzer Manifest« eine Rückkehr zu den »linken Wurzeln« forderte und den Rücktritt von Parteichef Di Maio durchsetzte. Sein amtierender Nachfolger Vito Crimi signalisierte Zustimmung. Starker Mann der rechten Fraktion, die einen Anschluß an die Lega oder auch an Lebendiges Italien (IV) von Matteo Renzi (die 2019 aus einer Abspaltung von der PD entstand und ein Zusammengehen mit Berlusconi sucht), bleibt Di Maio. Sein Ziel ist, solange die Regierung mit Conte besteht, den wachsenden Einfluß der PD zurückzudrängen.
Aus Protest gegen das Zusammengehen mit der sozialdemokratischen PD verließen im Januar 2020 19 Abgeordnete und Senatoren die M5S. Fünf von ihnen liefen direkt zu den Faschisten (Lega, Forza Italia und FdI) über, einer schloß sich der neuen Partei Renzis an. 13 gewählte Mandatsträger gründeten mit dem zurückgetretenen Bildungsminister Lorenzo Fioramonte eine »gemischte Gruppe«, die laut eigenen Erklärungen zu den linken Wurzeln zurückkehren und eine neue Partei gründen wolle.
Die Ankündigung der Kandidatur von Virginia Raggi in Rom dürfte bedeuten, daß M5S die Wahl in Rom als einen Test dafür sieht, die zerstrittene Bewegung unter dem linken Etikett zu stärken und in der Regierung vorerst alles so zu belassen. Wie aus ersten Reaktionen hervorgeht, werden sowohl die PD als auch die faschistische Allianz eigene Kandidaten gegen Raggi ins Rennen schicken. Wie ANSA am Mittwoch meldete, will Virginia Raggi sich sowohl gegen »rechts« als auch »links« positionieren. Im Gegensatz dazu fordert die Basis der Partei, ein Wahlbündnis mit der PD einzugehen und einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, berichtet »la Repubblica« am Donnerstag.
Das »Manifesto« hält einen Wahlsieg von Raggi für fraglich, da »eine Alternative« nicht zu erkennen sei. Aber bis dahin, pflegt der Römer zu sagen, wird noch viel Wasser den Tiber hinabfließen.
Gerhard Feldbauer
»Alles wird gut gehen«. Virginia Raggi am 12. März, zum Beginn der Maßnahmen gegen die Corona-Krise, auf dem Balkon ihrer Wohnung in Rom (Archivfoto: EPA-EFE/FABIO FRUSTACI)