Aus den Betrieben30. August 2023

Scheinselbständig in der Warteschleife

EU und Dreierkoalition lassen sich mit Regulierung der Plattformarbeit Zeit

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Arbeit, die über Plattformen im Internet vermittelt wird, gibt es immer öfter. Sie umfaßt nicht nur Essenslieferungen und Fahrdienste, sondern auch Dienstleistungen im Haushalt oder auch das Schreiben von Texten. Nachdem Geschäftsmodelle mit Plattformarbeitern in der Coronapandemie noch profitträchtiger wurden, haben in EU-Europa nach offiziellen Angaben schon über elf Prozent der Schaffenden Dienstleistungen über eine Plattform erbracht. In Luxemburg, wo vor allem die Unternehmen WeDely und Goosty, die Essen aus verschiedenen Restaurants nach Hause liefern lassen, aktiv sind, hat laut OGBL allein WeDely mehr als 1.100 Fahrer.

In der Pandemie mit ihren Lockdowns haben sich aber auch die prekären Arbeitsbedingungen für die Plattformarbeiter weiter verschärft. Für die Unternehmen ist diese Art kapitalistischen Wirtschaftens von Vorteil, weil sie die Beschäftigten flexibler einsetzen können – und weil sie Kosten sparen und das unternehmerische Risiko zum Teil auslagern können. Viele Beschäftigte – laut EU-Kommission mehr als fünf Millionen der rund 28 Millionen Plattformarbeiter in EU-Europa – haben zu Unrecht den Status von »Selbständigen«, damit die Unternehmen Sozialversicherungsbeiträge sparen können und weniger Rücksicht auf den für abhängig Beschäftigte gesetzlich geregelten Arbeitsschutz nehmen müssen.

Auf EU-Ebene wird schon seit 2021 über einen Richtlinienentwurf der Kommission verhandelt, der mittlerweile mehrfach überarbeitet wurde. Anfang Februar dieses Jahres hatte das EU-Parlament dann seinen Standpunkt im Plenum abgestimmt. Ein strittiger Punkt ist die Methode, mit der Plattformen wie WeDely oder Goosty in Zukunft nachweisen müßten, ob ihre Beschäftigten selbständig oder weisungsgebunden arbeiten. In seinem Avis zum Richtlinienentwurf schlägt das EU-Parlament vor, daß ausnahmslos alle Unternehmen eine »reale Selbständigkeit« nachweisen müssen. Gibt es daran Zweifel, sei von einem abhängigen Anstellungsverhältnis auszugehen, das EU-einheitlich zu regeln sei. Die Richtlinie soll auch die Beziehung zwischen den Plattformen und den für sie Arbeitenden sowie die »Durchschaubarkeit« der vom Unternehmen angewendeten Algorithmen regeln.

Anders als in Luxemburg, wo die regierende Dreierkoalition aus DP, LSAP und Grünen ihrem im eigenen Koalitionsabkommen festgeschriebenen Auftrag, die Plattformarbeit noch in dieser Legislaturperiode mit einem nationalen Gesetz zu regulieren, nicht nachgekommen ist, haben die Behörden in anderen EU-Staaten längst selbst mit der Regulierung begonnen. Im italienischen Mailand zum Beispiel wurden die Essenslieferdienste Uber Eats, Glovo-Foodinho, Deliveroo und Just Eat bereits im Februar 2021 durch die Staatsanwaltschaft verpflichtet, ihre zusammen rund 60.000 Fahrer über einen »Kooperationsvertrag« einzustellen.

Die Mailänder Staatsanwaltschaft argumentierte, die meisten Fahrer seien zwar offiziell selbständig, die von ihnen geleistete Arbeit sei aber mit der von Angestellten vergleichbar. Die Fahrer seien de facto scheinselbständig, vollkommen in die tägliche Arbeitsorganisation integriert und würden durch die Unternehmenszentrale koordiniert. Auch die seit der vorgezogenen Parlamentswahl im Juli nur noch übergangsweise regierenden spanischen Sozialisten unter Pedro Sánchez hatten angekündigt, die Rechte von Essenslieferanten per nationalem Gesetz zu stärken und ihnen den Status von Festangestellten zuzusprechen. In Spanien hatten sich das Arbeitsministerium, Gewerkschaften und Patronatsverbände darauf verständigt.

Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs Spaniens hatte die Gesetzesinitiative ausgelöst. Der entschied schon im Herbst 2020, daß ein ausschließlich beim Lieferdienst Glovo beschäftigter Zusteller als Angestellter und nicht als Selbständiger zu betrachten sei. Die wichtigste Gewerkschaft des Landes, CC.OO., fordert nun, die Regulierung nicht nur auf Essenszusteller zu beschränken, sondern auf alle Schaffenden auszuweiten, die über digitale Plattformen beschäftigt sind.