Ausland06. Februar 2024

Mineralwasserkonzerne beim Panschen und Betrügen erwischt

Frankreichs Behörden haben gesetzwidriges Filtern und Behandeln gedeckt

von Ralf Klingsieck, Paris

Nestlé Waters, eine französische Filiale des multinationalen Nahrungsmittelkonzerns, und weitere namhafte Mineralwasserkonzerne haben jahrelang vertuscht, daß ihr angeblich »naturklares Quellwasser« verunreinigt oder chemisch belastet war und von ihnen gefiltert oder behandelt wurde, was gesetzlich verboten ist. Das haben Journalisten von »Radio France« und der Zeitung »Le Monde« bei gemeinsamen Nachforschungen ermittelt und bekannt gemacht. Daraufhin haben Staatsanwälte des Nationalen Nahrungsgüter-Betrugsdezernats Ermittlungen eingeleitet.

Ersten Erkenntnissen zufolge kam die Lawine bereits 2021 ins Rollen, als die Alma-Gruppe bei den Behörden gemeldet hatte, daß ihr Wasser an einigen Orten leicht verunreinigt oder bakteriologisch belastet war, so daß es gefiltert oder chemisch behandelt werden mußte. Die Gruppe Alma, die in Frankreich mit einem Anteil von 16 Prozent Marktführer ist, pumpt an 34 über das ganze Land verteilten Standorten Grundwasser hoch, füllt es in Plastikflaschen ab und verkauft es unschlagbar preisgünstig unter dem einheitlichen Markennamen »Cristaline«.

Als sie vom Verhalten ihrer Konkurrenten der Alma-Gruppe erfuhren, gingen die Konzernchefs von Nestlé – mit den Marken »Vittel«, »Contrex«, »Hépar« und »Perrier« der Weltmarktführer bei Mineralwasser – in die Vorwärtsverteidigung und zeigten sich bei der Staatsanwaltschaft selbst an, weil sie ebenfalls gefiltert, desinfiziert oder anderweitig behandelt hatten, allerdings ohne es mitzuteilen.

Weitere Ermittlungen ergaben bis heute, daß dies auch andere Marken betrifft. Zusammen machen sie mehr als ein Drittel des französischen Marktes aus. Da wurden Bakterien und Viren mit ultraviolettem Licht abgetötet, Schmutzpartikel durch Filtern entfernt, eine von der Norm abweichende mineralische Zusammensetzung durch Aktivkohle oder andere chemische Eingriffe korrigiert und bei etwas schwach sprudelndem Mineralwasser wurde auch schon mal mit fabrikmäßig hergestelltem Gas nachgeholfen.

All das ist per Gesetz verboten und stellt Betrug dar, wenn das Wasser als »natürliches Mineralwasser« verkauft wird. Der Wirtschaftszeitung »Les Échos« gegenüber räumte die Vorstandsvorsitzende von Nestlé France, Muriel Lienau, kleinlaut ein: »Es gab Fehler, die zu Problemen bei der Einhaltung der Vorschriften führten. Wir haben zwar die Lebensmittelsicherheit gewährleistet, aber Schutzmaßnahmen ergriffen, die nicht dem gesetzlichen Rahmen oder dessen Auslegung entsprachen.«

Dem Gesetz nach muß Mineralwasser natürlich und von hoher mikrobiologischer Qualität sein. Entsprechend verdient es diese Bezeichnung nicht, wenn es desinfiziert wurde wie Leitungswasser aus dem städtischen Netz. Filter, Kohle oder andere Behandlungen sind nicht mit der Bezeichnung »natürlich« vereinbar, die von Qualität zeugt. Die Mineralwasserkonzerne geben zu bedenken, daß es durch den Klimawandel, das beschleunigte Abschmelzen der Gletscher und die Verknappung von Grundwasser immer schwieriger wird, die mineralische Zusammensetzung und die Reinheit des Mineralwassers zu gewährleisten.

Für diese Argumente müssen wohl auch die staatlichen Behörden empfänglich gewesen sein, denen die Manipulationen schon vor Jahren durch besorgte Mitarbeiter der Firmen zugetragen wurden. Obwohl jeder Beamte per Gesetz verpflichtet ist, Rechtsverletzungen, die ihm bekannt werden, unverzüglich bei der Justiz anzuzeigen, ist dies unterblieben. Erst jetzt wurden diese Mißstände durch die Medien bekannt.

»Hier hat man wissentlich gegen die Gesetze verstoßen und die Verbraucher betrogen«, stellt Ingrid Kragl, Vorsitzende der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch France fest. »Dafür wurde ein ganzes System von Maßnahmen ergriffen, um diese Machenschaften zu vertuschen. Besonders empörend ist, daß die Behörden davon wußten, daß sie das gedeckt haben und daß die Betrüger nicht bestraft wurden. Im Gegenteil, die Behörden kommen den Konzernen noch entgegen und genehmigen jetzt Mikrofilter.«

Inzwischen hat Nestlé firmenintern reagiert, mehrere besonders problematische Quellen aufgegeben und das Verkaufsvolumen der Marken »Hépar« und »Contrex« gedrosselt. Für das natürlich perlende Mineralwasser »Perrier«, das bisher aus acht Quellen im südfranzösischen Departement Gard kam, sind jetzt nur noch sechs in Betrieb. Doch da ein Teil auch dieses Quellwassers wegen Spuren von Schmutz, Bakterien, Viren oder Chemikalien nicht ungefiltert oder unbehandelt in den Handel gebracht werden kann, wurde dafür eine neue Marke mit verschiedenen aromatischen Geschmacksrichtungen kreiert. Sie knüpft an den bekannten Namen an, verzichtet aber gezwungenermaßen auf die Qualitätsbezeichnung »natürliches Quellwasser« und heißt etwas bescheidener »Wasser aus dem Hause Perrier«.

Frankreich gehört international zu den zehn Ländern mit dem höchsten Verbrauch an Mineralwasser in Flaschen. Pro Kopf der Bevölkerung werden jährlich 135 Liter getrunken, also praktisch alle zwei Tage ein Liter. Das hat seinen Preis: Vergleichen von Verbrauchsschützern zufolge ist in Flaschen abgefülltes Quellwasser bis zu 100 Mal teurer als Trinkwasser aus dem Hahn, das laufend geprüft wird und strengen Normen entspricht.