Pippi in Den Haag
Ein bißchen erinnerte EU-Chefin Ursula von der Leyen an Pippi Langstrumpfs »Ich mach' mir die Welt, Widdewidde wie sie mir gefällt«, als sie am Montag die feierliche Eröffnung des »Internationalen Zentrums zur Verfolgung des Verbrechens der Aggression gegen die Ukraine«, englisch abgekürzt ICPA, im niederländischen Den Haag mit dem großspurigen Satz kommentierte: »Wir werden nichts unversucht lassen, um Putin und seine Handlanger zur Rechenschaft zu ziehen.«
Untergebracht ist das ICPA in Räumlichkeiten der Haager EU-Agentur »für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen«, Eurojust, der EU-Kommission zufolge wird es aber im Wesentlichen von seinen bislang sechs (!) Mitgliedstaaten getragen. Dabei handelt es sich neben der Ukraine selbst um Polen, Rumänien und die drei EU-Staaten im Baltikum.
Aber vielleicht begründet Frau von der Leyen den anmaßenden ersten Buchstaben in der Abkürzung ICPA ja damit, daß auch der ebenfalls in Den Haag untergebrachte Internationale Strafgerichtshof (IStGH) beteiligt ist?
Bei diesem Tribunal gibt es allerdings das Problem, daß weder Rußland noch die Ukraine noch ihr enger Verbündeter USA das Römische Statut über die Gründung des IStGH ratifiziert haben. Nachdem sie Ermittlungen zu möglichen Kriegsverbrechen in Afghanistan zugelassen hatte und auch Vorwürfe gegen das USA-Militär prüfen wollte, entzogen die USA der damaligen IStGH-Chefanklägerin Fatou Bensouda 2019 sogar die Erlaubnis zur Einreise. Konkret ging es um mögliche Mißhandlungen von Gefangenen durch USA-Soldaten und CIA-Mitarbeiter.
Wegen ihrer Komplizenschaft bei dem berüchtigten CIA-Programm für Geheimgefängnisse hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im französischen Straßburg Litauen und Rumänien erst vor fünf Jahren verurteilt. Der Entscheidung zufolge machten sich die beiden ICPA-Mitglieder damit »mehrerer Verstöße gegen die Menschenrechte« schuldig.
Geklagt hatten ein staatenloser Palästinenser und ein Saudi, die später in das noch unter USA-Präsident Bush junior eröffnete und von seinen Nachfolgern Obama, Trump und Biden bis zum heutigen Tag nicht geschlossene Schreckenslager in der illegal von den USA annektierten Bahía de Guantánamo auf Kuba gebracht worden waren.
Die beiden Männer hatten angegeben, von 2004 bis 2006 illegal in »Black Sites« (schwarzen Orten) der CIA in Rumänien und Litauen festgehalten worden zu sein. Beide Länder hätten unter anderem gegen das Folterverbot, das Recht auf Freiheit und Sicherheit Asylsuchender sowie das Recht hinsichtlich der Privatsphäre verstoßen, urteilte das Gericht 2018.
Doch seit dem 24. Februar 2022 empört sich der Wertewesten, zu dessen Repräsentanten Frau von der Leyen gehört, nur noch über das angebliche russische »Aggressionsverbrechen gegen die Ukraine«, während er von Kriegs- und anderen Katastrophen wie derzeit im Jemen, in Palästina oder im Nordosten Afrikas, von Putschen und Interventionen an so vielen Orten der Welt, Drohnenmorden an Tausenden unschuldigen Menschen und schließlich vom Schicksal eines Journalisten wie Julian Assange, der es gewagt hat, solch jahrzehntelange gezielte Zerstörung des Völkerrechts durch USA und NATO im Irak und in Afghanistan aufzudecken, nichts wissen will.
Ebenfalls am Montag mußte der Wikileaks-Gründer seinen fünften Geburtstag in Folge im berüchtigten britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh verbringen, wo ihm weiterhin eine Auslieferung an die USA droht. Dort muß der Dissident des Westens in einem absurden Spionageprozeß mit 175 Jahren Gefängnis rechnen.