Ausland10. Januar 2023

»Deutscher Wohlstand« durch Abwerbung

Ausländische Fachkräfte sollen ökonomisch verwertet werden

von Ulf Immelt

Um dem vielbeschworenen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, will die deutsche Bundesregierung Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtern. Wer gut Deutsch spricht und Berufspraxis hat, soll hierfür Punkte bekommen und in Deutschland einen »Job« suchen können. Während die CDU/CSU-Fraktion hierauf fast schon anachronistisch mit fremdenfeindlich gefärbten Tönen reagiert, hebt Wirtschaftsminister Robert Habeck hervor, daß das Vorhaben der Regierung »offensiv für eine Gesellschaft der Vielen wirke«.

Jenseits dieser Scheindebatte, die an die Gefühle der jeweiligen Stammwählerschaft appelliert, hat Hubertus Heil die eigentliche Intention auf den Punkt gebracht: »Fachkräftesicherung ist Wohlstandssicherung. Deutschland braucht in Zukunft alle klugen Köpfe«, so der Bundesarbeitsminister von der SPD. Damit befindet er sich in bester Gesellschaft mit »Arbeitgeber«-Präsident Rainer Dulger, der sich fast wortgleich äußerte.

Nach Berechnungen der Bundesagentur für Arbeit stehen dem deutschen Arbeitsmarkt ohne Einwanderung von Fachkräften und steigende Erwerbsquoten bis 2035 über sieben Millionen Arbeitskräfte weniger zur Verfügung. Die Zahlen untermauern, es geht im Kern um die Bereitstellung von variablem Kapital für die deutsche Wirtschaft auf Kosten schwächerer Volkswirtschaften und um dessen ökonomische Verwertbarkeit. Dafür sollen bürokratische Hürden ab- und das Marketing im Ausland ausgebaut werden.

Zukünftig sollen so anerkannte Fachkräfte mit einem gültigen Arbeitsvertrag einfacher als bisher nach Deutschland kommen können. Aktuell können Menschen mit einer im Ausland erworbenen Berufsausbildung nur für sechs Monate einen Aufenthalt zur Arbeitsplatzsuche erhalten. Hierfür benötigen sie eine anerkannte berufliche Qualifikation und Deutschkenntnisse. Zudem muß der Lebensunterhalt während der Arbeitsplatzsuche selbst bestritten werden können.

Das jetzt vom Kabinett beschlossene Eckpunktepapier sieht vor, daß man zukünftig auch dann in Deutschland arbeiten darf, wenn keine formale Anerkennung für den im Heimatland erworbenen Abschluß vorliegt. Bedingungen hierfür sind eine zweijährige Berufsausbildung im Ausland und der Nachweis von mindestens zwei Jahren Berufserfahrung sowie die Existenz eines gültigen Arbeitsvertrags in Deutschland. »Interessenten ohne Arbeitsvertrag« können stattdessen eine »Chancenkarte« erhalten, mit der sie einreisen und sich vor Ort einen »Job« suchen dürfen. Diese Möglichkeit soll es jedoch nur für Bewerber mit »gutem Potential« geben, das mit Hilfe eines Punktesystems nachgewiesen werden muß.

Vorbild für ein solches Punktesystem ist Kanada. Einwanderungswillige erhalten dort per »Express Entry«-Onlinesystem Punkte für Kriterien wie Ausbildung, Berufserfahrung, Alter und Sprachkompetenz. Menschen aus diesem Bewerberpool werden in regelmäßigen Abständen aufgefordert, sich formal für eines von drei Einwanderungsprogrammen zu bewerben. In dieser zweiten Stufe werden dann erneut Punkte vergeben. Auch das im Eckpunktepapier grob skizzierte Punktesystem für Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten basiert auf ähnlichen Parametern.

Dieses als »Weltoffenheit« verbrämte Prinzip ökonomischer Verwertbarkeit wird nicht nur von Unternehmerpräsident Dulger geteilt, sondern stößt auch auf Zustimmung weiterer Kapitalfraktionen. So bezeichnete der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes die »Chancenkarte« und den erleichterten Zuzug für Berufserfahrene als »wichtige Bausteine für die Fachkräftegewinnung am Bau«. Und der IT-Branchenverband Bitkom ließ verlauten: »Wenn künftig formelle Abschlüsse und nachgewiesene Deutschkenntnisse keine Voraussetzung für Einwanderung mehr sein sollen, könnten davon insbesondere IT-Berufe profitieren, in denen Qualifikationen häufig berufsbegleitend erworben werden und Arbeitssprache ohnehin Englisch ist.«

Auf den Punkt gebracht: »Weltoffenheit« als Mittel der Weltmarktbeherrschung. So funktioniert der deutsche Imperialismus im 21. Jahrhundert.