Ausland05. April 2013

Zerplatzter Traum?

Der Kaesong Industrial Complex galt als Kronjuwel innerkoreanischer Kooperation. Jetzt steht er vor der Schließung

Nordkorea kündigte am Mittwoch an, den Kaesong Industrial Complex zu schließen. Wenn das tatsächlich geschähe, verwandelte sich der als Musterbeispiel der Nord-Süd-Kooperation gepriesene Industriepark in einen Schrottplatz.

Unweit des 38. Breitengrads und der sogenannten Entmilitarisierten Zone liegt die nordkoreanische Stadt Kaesong, die während des Koreakrieges (1950–53) gleich mehrfach Ziel heftiger Artillerieattacken war und größtenteils zerstört wurde. Ausgerechnet dort befindet sich mit dem Kaesong Industrial Complex (KIC) ein bis vor kurzem als Kronjuwel innerkoreanischer Kooperation gepriesener Industriepark. Südkorea ist mit Kapital (das Investitionsvolumen beträgt umgerechnet etwa zwei Milliarden US-Dollar) und technologischem Know-how präsent, während der Norden Grund und Boden sowie vergleichsweise billige Arbeitskräfte bereitstellt.

Am Anfang stand das hi-storische Gipfeltreffen zwischen den Staatschefs Kim Dae Jung und Kim Jong Il Mitte Juni 2000 in der nordkoreanischen Hauptstadt Pjöngjang. Dort wurde am 15. Juni 2000 die »Gemeinsame Nord-Süd-Erklärung« unterzeichnet, mit der eine enge Zusammenarbeit auf nahezu sämtlichen Ebenen des gesellschaftlichen Lebens beschlossen wurde. Im wirtschaftlichen Bereich wurde nach intensiven Beratungen vereinbart, eine gemeinsame industrielle Zone zu errichten. Im April 2004 trafen schließlich das südkoreanische Unternehmen Hyundai Asan und das Asiatisch-Pazifische Friedenskomitee Nordkoreas ein entsprechendes Abkommen, wobei die nordkoreanische Seite ein insgesamt 66,1 Quadratkilometer großes Areal für 50 Jahre verpachtete, das in drei Phasen entwickelt werden soll.

Waren 2004 erst zwei südkoreanische Firmen im KIC ansässig, so betrug deren Zahl im Frühjahr 2006 bereits 15 – meist mittelständische – Unternehmen. Bis zum Jahresbeginn 2012 existierten dort bereits 123 Betriebe mit knapp 51.000 (vorwiegend nordkoreanischen) Arbeitern. Nach Angaben des Seouler Ministeriums für Vereinigung wurden dort von Oktober 2004 bis Ende Januar 2012 Güter in einem Gesamtwert von 1,5 Milliarden US-Dollar gefertigt. Die im KIC gezahlten Monatslöhne liegen zwischen umgerechnet 57,50 bis 75 US-Dollar – vergleichbar den Löhnen in China (abgesehen von den Sonderwirtschaftszonen an dessen Südküste) und Vietnam. Bei Überstunden erhalten die Arbeiter einen Bonus von 50 bis 100 Prozent. Während das südkoreanische Vereinigungsmini-sterium als verantwortliche Stelle die Arbeiter gern direkt ausbezahlen würde, konnte die nordkoreanische Seite eine andere Lösung durchsetzen. Diese sieht vor, daß die Arbeiter ihre Lohnabrechnungen in südkoreanischer Währung lediglich überprüfen und unterschreiben, anschließend aber nordkoreanische Won ausbezahlt bekommen.

Am 15. März 2006 wurden im Osten und Westen des Landes eigens zwei Bahn- und Straßenverbindungen mit entsprechenden Checkpoints auf südkoreanischer Seite eröffnet. Im Jahre 2003 passierten gerade einmal 3.600 Personen und 1.200 Fahrzeuge die Grenze im Westen, während es zwei Jahre später bereits 66.000 Personen waren. Signifikant ist auch der Handel zwischen beiden koreanischen Staaten gestiegen. 1998 betrug er umgerechnet 222 Millionen US-Dollar, im Jahre 2005 waren es bereits 1,055 Milliarden Dollar. Ende 2010 kam der Nord-Süd-Handel umgerechnet schon auf knapp zwei Milliarden Dollar, wovon annähernd 76 Prozent oder 1,4 Milliarden Dollar direkt über den KIC abgewickelt wurden. Somit war Südkorea nach der Volksrepublik China zum zweitgrößten Handelspartner Nordkoreas avanciert – allen politischen Konflikten zum Trotz.

Südkoreanische Politiker bezeichneten den KIC einst als »Traumfabrik des Friedens und gemeinsamen Wohlstands«. Zweifellos wäre das Potential dazu vorhanden und die Vision in einem einigen, wenn auch nicht unbedingt vereinten Korea verlockend. So könnten nämlich mit einem von der Hafenstadt Busan im Süden bis nach Sinûiju im Nordwesten (an der chinesischen Grenze) wiederhergestellten Eisenbahnnetz wichtige Impulse für ein langgehegtes Projekt gegeben werden: den Nordostasiatischen Gemeinsamen Markt, der den Osten Chinas und Rußlands mit einschließen würde.

Bereits vor Jahren prangte am Seouler Hauptbahnhof ein überdimensionales Plakat, auf dem eben diese Orte als Ausgangspunkte der »modernen Seidenstraße« markiert waren – mit Stockholm und Paris als ihre Endpunkte.

Rainer Werning

Rainer Werning ist Koautor des 2012 im Wiener Promedia Verlag erschienenen Buches »Korea: Von der Kolonie zum geteilten Land.«