Leitartikel04. Juni 2025

Zehn Jahre nach dem Referendum: Das Thema Ausländerwahlrecht ist zurück

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Luxemburg steht vor einer paradoxen Realität: Fast die Hälfte seiner ständigen Bevölkerung ist nicht wahlberechtigt. Während Nicht-Luxemburger auf kommunaler Ebene wählen dürfen, bleibt ihnen die Partizipation an Parlamentswahlen verwehrt. Dieser Status Quo wurde 2015 im Referendum deutlich untermauert. Kritiker meinen, die politische Kohäsion stehe dadurch auf dem Spiel.

Die Argumente für ein Ausländerwahlrecht sind vielfältig. Zunächst ist da der Aspekt der demokratischen Legitimation. Eine Regierung, die einen derart großen Teil der Bevölkerung von der politischen Mitbestimmung ausschließe, könne kaum als vollständig repräsentativ gelten, heißt es. Die politischen Entscheidungen, die in Luxemburg getroffen würden, beträfen ausnahmslos alle Einwohner, unabhängig von ihrer Nationalität. Auch Ausländer zahlten Steuern, nutzten die Infrastruktur, trügen zur Wirtschaft bei und seien Teil der Gesellschaft. Es sei ein Prinzip der Demokratie, daß diejenigen, die von politischen Entscheidungen betroffen seien, auch ein Mitspracherecht bei deren Gestaltung haben sollten.

Erst am Montag hat die ASTI das Thema im Rahmen einer Pressekonferenz erneut auf den Tisch gebracht und legte eine bei Ilres bestellte Umfrage vor, nach welcher mittlerweile eine Mehrheit ein Ausländerwahlrecht befürworte. Ein solches Wahlrecht setzt allerdings voraus, daß derjenige Nicht-Luxemburger sich mit der gesellschaftlichen und politischen Landschaft des Landes auseinandersetzt. Wählen zu gehen ist nicht nur hierzulande eine Pflicht, sondern, ob in Luxemburg oder anderswo, auch ein Privileg. Man kann durchaus die Frage stellen, warum die bereits deutlich vereinfachten Einbürgerungsverfahren kein Ansporn sind, ein solches Wahlrecht auf dem üblichen Weg zu erlangen. Die Motivation, am politischen Leben teilzunehmen, scheint also bei der Masse der Nicht-Luxemburger, die hierfür infrage käme, doch keine so große Rolle zu spielen. Auch die geringe Beteiligung von Nicht-Luxemburgern an den Gemeindewahlen kann deshalb auf die eine aber auch andere Weise gedeutet werden.

Der Einbürgerungsprozeß stellt durch Sprachenkurs- und Test zumindest für einen großen Teil der Kandidaten außerdem sicher, daß eine, zumindest minimale, Berührung mit der luxemburgischen Sprache stattfindet, die als ein wichtiges Integrationsinstrument deutlicher unterstrichen werden müßte, anstatt sie, etwa durch Europaschulen, langfristig noch weiter zurückzudrängen. Die Multilingualität auf dem Papier und in der Praxis sind in Luxemburg völlig unterschiedliche Situationen, die derzeit und zunehmend nicht unbedingt zu einer gesellschaftlichen Gemeinschaft beitragen, die politische Partizipation begünstigt. Vielmehr bilden sich nicht nur an vielen Arbeitsplätzen, sondern auch im gesellschaftlichen Leben immer neue »Bubbles« (Blasen). Auch zeigt das Durchlaufen eines Einbürgerungsprozesses den Willen zur Partizipation, während das bloße Zugestehen des Wahlrechts nicht immer gesichert auf Interessenten trifft. Insofern ist das Argument, daß ein Ausländerwahlrecht grundsätzlich die politische Debatte im Land zu bereichere, nicht sehr stark.

Die vielfältigen Perspektiven und Erfahrungen der multinationalen Bevölkerung Luxemburgs könnten selbstverständlich zu fundierteren Entscheidungen führen, welche die komplexen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft besser widerspiegeln. Es könnte die Gefahr verringern, daß die herrschende Politik an den Lebensrealitäten eines großen Teils der Bevölkerung vorbei handelt. Doch damit dies geschieht, muß eben neben einem entsprechenden Willen der Politik ein gewisser, zumindest gedanklicher, Integrationsprozeß stattgefunden haben.

Die Diskussion, ein Ausländerwahlrecht wieder anzukurbeln, ist sicherlich nicht falsch angesichts der Bevölkerungsentwicklung. Hier gilt es, Möglichkeiten auszusondieren, die eine Entschärfung der Situation erreichen könnten. Jedoch sollte es nicht ausschließlich darum gehen, Statistiken zu beschönigen. Das würde unter Umständen nicht nur keine Abhilfe schaffen, sondern neue Probleme aufwerfen.