Ausland29. Januar 2025

Immer mehr Geringverdiener in Italien

von Gerhard Feldbauer

Laut einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Bericht des staatlichen Statistikamtes ISTAT über die Struktur der Löhne und Arbeitskosten in Italien gab es im Jahr 2022 in Italien 1.255.000 Lohnabhängige, die als Geringverdiener gelten – das bedeutet, daß sie sich mit einem niedrigen Stundenlohn von 8,90 Euro abfinden müssen, was lediglich zwei Drittel des Landesmittelwerts oder weniger ausmacht, berichtete das kommunistische Magazin »Contropiano«. Auf nationaler Ebene betrifft das mehr als 10 Prozent der Beschäftigten, wobei der Anteil bei Frauen, jungen Menschen, Personen mit niedrigem Bildungs- und Berufsabschluß sowie Personen, die in gewerblichen Tätigkeiten und Dienstleistungen tätig sind, deutlich höher ist.

Zu dieser Schwelle, die nicht einmal 9 Euro pro Stunde erreicht, gibt es viel zu sagen, schreibt »Contropiano«. Erstens sind es auch in diesem Fall die Frauen, die am meisten benachteiligt werden, denn auch bei den durchschnittlichen Stundenlöhnen beträgt die Kluft zwischen den Geschlechtern 5,6 Prozent, wobei Jugendliche unter 30 Jahren 36,4 Prozent weniger verdienen als Menschen über 50. Es sei schwer, weiterhin die Rhetorik zu ertragen, die sie als Faulenzer betrachtet, die nicht die Ärmel hochkrempeln wollen, wenn ihnen nicht einmal die grundlegenden Mittel zur Emanzipation garantiert werden.

Offensichtlich gehören zu den Kategorien mit den niedrigsten Löhnen auch die Leiharbeiter, die 24,6 Prozent weniger verdienen als diejenigen, die auf Dauer beschäftigt sind. Auch sei zu sehen, daß der Anteil der Geringverdiener zwischen 2018 und 2022 von 9,8 auf 10,7 Prozent gestiegen ist. Hervorzuheben sei auch, daß die niedrigsten Durchschnittslöhne im Beherbergungs- und Gaststättengewerbe gezahlt werden, heißt es in dem Magazin. »Um es klar auszudrücken: »Das sind zwei Säulen des Tourismus, Sektoren, in denen die Investitionen nahezu bei Null sind und in denen die Erträge entweder aus dem Einnahmen oder aus der intensiven Ausbeutung der Beschäftigten stammen – also indem sie entweder mehr arbeiten und ihnen weniger bezahlt wird.«

Für viele Politiker ist dies die Zukunft des »bel paese«, nachdem Italien auf industrielle Wüstenbildung reduziert und ein System modelliert wurde, in dem private Unternehmen nur dank Subventionen und der Deregulierung der Arbeit leben können. Daher auch die weit verbreitete Ablehnung der Einführung eines Mindestlohns.

Schon im vergangenen Jahr hatte ISTAT die Auswirkungen dieser Entwicklungen auf die wachsende Armut deutlich gemacht, in einem eigentlich hochentwickelten Land wie Italien, in dem 8,5 Prozent Familien, also etwa 5,7 Millionen Menschen, in Armut lebten. Im November 2023 hatte die Gewerkschaft CGIL berichtet, daß mehr als 63 Prozent der italienischen Familien ihren Lebensunterhalt nur unter größten Schwierigkeiten bestreiten können. Die Anzahl derer, die unter der Armutsgrenze leben, liege in Italien mit 24,2 Prozent über dem EU-Mittelwert (21,6 Prozent).

Besonders schlimm wird die Lage, wenn Geringverdiener in Rente gehen. Laut der Rentnerabteilung der CGIL erhielten 2024 rund 30 Prozent der Rentner, das sind 6,8 Millionen Menschen, weniger als 1.000 Euro brutto monatlich, rund die Hälfte von ihnen sogar noch weniger. Davon lasse sich kaum leben, und es treffe immer mehr von denen, »die ein bißchen darüber liegen«, teilte die Gewerkschaft mit. Frauen sind davon deutlich stärker betroffen als Männer.