Ausland06. Juli 2021

Rassemblement National will Talsohle verlassen

Faschisten-Führerin Marine Le Pen braucht 2022 jede Stimme der RN-Anhänger

von Ralf Klingsieck, Paris

Nach der schweren Niederlage bei der Regionalwahl vor zwei Wochen hat das faschistische Rassemblement National (RN) am Wochenende auf seinem Jahreskongreß versucht, aus der Talsohle herauszukommen und alle Kräfte für die Präsidentschaftskandidatur 2022 der Vorsitzenden Marine Le Pen zu sammeln. Die wurde, wie auf dem Kongreß bekanntgegeben wurde, bei einer internen Abstimmung mit 98 Prozent der abgegebenen Stimmen für eine vierte Amtszeit wiedergewählt.

Gleichzeitig haben die Mitglieder entschieden, daß sie an der Spitze der Bewegung durch den 25-jährige Vizevorsitzenden Jordan Bardella vertreten wird, wenn sich Marine Le Pen ab September auf den Präsidentschaftswahlkampf vorbereitet, der dann zwischen Januar und April 2022 läuft – und dann auch nach ihrer erhofften Wahl zur ersten Präsidentin des Landes.

Die so massiv wiedergewählte RN-Vorsitzende bedauerte in ihrer Rede vor den Delegierten, daß es bisher nicht gelungen sei, die Führung einer der 13 Regionen oder eines der 101 Departements des Landes zu erringen, um so zu demonstrieren, daß ihre Partei zum Regieren imstande ist. Aber der Parteitagsort Perpignan, die einzige Großstadt, die bei der Kommunalwahl 2020 einen FN-Bürgermeister gewählt hat, beweise auch schon die Führungskompetenzen der Partei. Bürgermeister Louis Aliot ist denn auch eine Schlüsselfigur bei der Mobilisierung aller potentiellen RN-Anhänger für die Präsidentschaftswahl. Er gehört seit mehr als 20 Jahren erst der Front National und dann dem daraus hervorgegangenen Rassemblement National an und hat als einer der ihrer führenden Politiker ein landesweites und alle Ebenen umfassendes Netzwerk geknüpft.

Von der rekordhohen Stimmenthaltung bei der jüngsten Regionalwahl war die Partei überproportional betroffen und sie hat dabei auf der Ebene der Departements und Regionen jedes dritte bisherige RN-Ratsmitglied verloren. Viele der traditionellen RN-Anhänger hatten die Bedeutung dieser Wahl unterschätzt, ergaben Umfragen, doch nicht wenige wollten damit auch ihre Unzufriedenheit über die politische Linie der Bewegung zum Ausdruck bringen.

Das Problem für die Führung ist, daß sich das Kritiker-Lager in zwei gegensätzliche Strömungen teilt. Die einen sind verärgert, daß fast ausschließlich »die Ausländerflut« und die sich daraus angeblich ergebende Unsicherheit angeprangert und ein entschlossenes Umsteuern nach dem Sieg in Aussicht gestellt wird, während man die schwierige soziale Lage vieler Franzosen unterschätzt, keine alternative Wirtschafts- und Sozialpolitik ankündigt und dieses Thema der Linken überläßt. Die andere Gruppe der Kritiker befürchtet, daß die Bewegung durch Marine Le Pens Strategie der Ent-Dämonisierung mehr und mehr an »Biß« verliert und zu einer »gewöhnlichen« rechten Partei zu werden droht. Sie werfen ihr beispielsweise vor, daß sie, um ihre Aussichten für den Einzug ins Elysée zu verbessern, bereits den einst angekündigten Ausstieg aus dem Euro und der Schengen-Zone sowie aus dem EU-Gerichtshof für Menschenrechte aufgegeben hat.

Nicht wenige Kritiker könnten Marine Le Pen 2022 fehlen, weil die Sozialgesinnten zwar nicht massiv zu den Linken abwandern, aber der Wahl fernbleiben könnten, während die Radikalen für Politiker zu stimmen drohen, die sich noch rechts vom RN positionieren. Ein solcher Herausforderer ist der provokant-polemische Journalist und Buchautor Eric Zemmour, der so massiv gegen die illegale Einwanderung und gegen die islamische »Überfremdungs«-Gefahr trommelt wie einst der Front-National-Mitbegründer und langjährige Parteichef Jean-Marie Le Pen. Der ist inzwischen 93 und grollt auf seinem Alterssitz seiner Tochter und Nachfolgerin Marine, sie führe die inzwischen die in RN umbenannte Bewegung in die Bedeutungslosigkeit.

Vor den am Wochenende vom Kongreß gewählten 100 Mitgliedern des Nationalrates steht nun die überaus schwierige Aufgabe, für den Präsidentschaftswahlkampf ein Programm auszuarbeiten, das so breit gefächert ist, daß es möglichst viele Mitglieder und Sympathisanten der Bewegung anspricht und überzeugt.