Im »nationalen Interesse Deutschlands«
Erwägungen über deutsche Beteiligung an »Schutztruppe« für Gaza
Die grüne deutsche Außenministerin Annalena Baerbock schließt den Einsatz von Soldaten der Bundeswehr im Rahmen einer »Schutztruppe« für den Gazastreifen nicht aus. Demnach soll sich Deutschland künftig an einer Militärintervention in dem Gebiet beteiligen, die der Gewährleistung eines Waffenstillstands dient. Kommt der Einsatz zustande, kann er an eine mittlerweile lange Tradition der deutsch-israelischen Militärkooperation anknüpfen.
Diese begann Ende der 1950er Jahre, als nach der Suezkrise israelische Soldaten an deutschen Waffen ausgebildet wurden. Verstärkt wurde die Kooperation zuerst in den 1980er, vor allem aber in den 1990er Jahren; Ziel war es, die Einsatzerfahrungen der israelischen Streitkräfte für den angestrebten Umbau der Bundeswehr zur weltweit operierenden Interventionstruppe zu nutzen. Dazu bemühten sich die deutschen Streitkräfte um Ausbildung in Israel unter anderem im »Häuser- und Tunnelkampf«. In der Bundeswehr heißt es, die Zusammenarbeit der Streitkräfte beider Länder sei »unglaublich eng«.
Treffen auf Generalstabsebene
Die Kooperation zwischen den Streitkräften der Bundesrepublik und Israels begann, so berichten es Experten, mit der Einweisung israelischer Soldaten in den Gebrauch deutscher Waffensysteme, deren erste Ende der 1950er Jahre geliefert wurden, kurz nach dem Ende der Suezkrise. Für die 1980er Jahre sind »sporadische gemeinsame Ausbildungslehrgänge bei den Gebirgsjägern« belegt. Ab 1998 gab es, so heißt es weiter in einer Studie zur deutsch-israelischen Rüstungs- und Militärkooperation, »regelmäßige Treffen auf Generalstabsebene des Heeres«; auch sei »ein Austauschprogramm für 20 Offiziersanwärter vereinbart« worden, die daraufhin »an einem dreiwöchigen Lehrgang bei den Eliteverbänden« teilnahmen.
Angaben über die Militärkooperation mit Israel werden von der Bundesregierung in vielen Fällen geheimgehalten, wie eine Antwort der Regierung auf eine Kleine Anfrage im Bundestag im Oktober 2014 zeigt. Die Regierung bestätigt allerdings, daß allein zwischen 1984 und 2014 »bis zu 493« israelische Militärs, darunter Offiziere, an Ausbildungs- sowie an anderen Maßnahmen der Bundeswehr teilnahmen; 254 deutsche Militärs reisten zu Übungen und Ausbildungsprogrammen nach Israel.
Praktische Einsatzerfahrungen
Über den Hintergrund der Intensivierung der Militärbeziehungen seit den 1990er Jahren hat sich im Jahr 2002 Generalleutnant a.D. Helmut Willmann geäußert, der von 1996 bis 2001 als Inspekteur des Heeres amtierte und seit dem Ende des Kalten Kriegs damit befaßt war, die Kontakte der Bundeswehr zu den israelischen Streitkräften zu institutionalisieren.
Weil man »gerade im Umbruch« gewesen sei und geplant habe, die Bundeswehr nun »von der Friedens- zur Einsatzarmee« umzubauen, habe man »natürlich auch den Kontakt zu Armeen« gesucht, »die da schon mehr Erfahrungen hatten als wir«, erläuterte Willmann.
Es sei »klar« gewesen, »daß die Zusammenarbeit mit der israelischen Armee natürlich auch professionell uns Vorteile bringt«. Israels Militärattaché an der israelischen Botschaft in Berlin, Reuven Benkler, berichtete gleichzeitig, die israelischen Streitkräfte teilten »mit der deutschen Armee fast ununterbrochen und direkt jede Erkenntnis, die wir aus den praktischen Erfahrungen im Einsatz unserer Armee gewinnen«: »Und wir sind eine Armee mit sehr reichen Erfahrungen.« Dabei habe die Bundeswehr »Anteil an allem, was wir entwickeln«.
Häuser- und Tunnelkampf
Seitdem ist die Militärkooperation stets weiter ausgebaut worden. Im August 2014 teilte der Heeresinspekteur Generalleutnant Bruno Kasdorf mit, bis zu 250 deutsche Soldaten würden nach Israel entsandt, um dort den Häuser- und Tunnelkampf zu trainieren. Ein Jahr später wurde konkretisiert, die offenbar verzögerte Ausbildungsreise solle nun im Oktober 2015 beginnen und rund 110 deutsche Soldaten in das Urban Warfare Training Center Tse’elim führen.
Es sei »kein Zufall«, daß es »in der Nähe des Gazastreifens errichtet« worden sei, wo den israelischen Streitkräften »genau diese Fertigkeiten abverlangt werden«; man habe hohes Interesse an den »spezifischen Einsatzerfahrungen der israelischen Streitkräfte«, wurde das deutsche Heereskommando im August 2015 in der Zeitung »Die Welt« zitiert.
Seit 2017 nimmt die Luftwaffe an »Blue Flag« teil, einem israelischen Luftwaffenmanöver, das alle zwei Jahre abgehalten wird. Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz wurde vor zwei Jahren mit der Aussage zitiert, Israel sei für die deutsche Luftwaffe »der wichtigste Partner außerhalb der NATO«.
Im Oktober 2021 schwärmte der Militärattaché an der deutschen Botschaft in Tel Aviv, Oberst Jürgen Haffner, es gebe ganz allgemein »ein unglaublich enges Interesse der Bundeswehr an den israelischen Streitkräften und umgekehrt«; dabei sei »die Frequenz der Besuche, die wir haben – von hochrangigen strategischen Dialogen bis hin zum Expertenbesuch –, ... unglaublich dicht«.
Kriegsbeteiligung
Die überaus intensive Militärkooperation trägt – neben der ungemein intensiven politischen Kooperation – dazu bei, die Anfang August geäußerte Forderung des CDU-Außenpolitikers, Oberst a.D. Roderich Kiesewetter nach einem Bundeswehreinsatz in Israel zu erklären. Anfang August wurde in Reaktion auf den israelischen Mord an Hamas-Politbürochef Ismail Haniya mit einem iranischen Drohnen- und Raketenangriff auf Israel gerechnet, der bald in der Tat gestartet wurde. Berlin müsse »militärischen Beistand zur Abwehr anbieten«, forderte Kiesewetter: »Denkbar ist die Betankung von Kampfjets befreundeter Nationen, aber auch der Einsatz von eigenen Eurofightern der Bundeswehr, zum Beispiel zur Abwehr von iranischen Drohnen«.
Wenn »Israels Sicherheit wirklich deutsche Staatsräson« sei, müsse man »Realpolitik betreiben, statt weiter romantische Hoffnungen zu pflegen«, äußerte der CDU-Bundestagsabgeordnete. Die Bundesregierung dürfe deshalb »nicht warten, bis sie von Israel um Hilfe gebeten wird«, sondern sie solle »diese aus eigenem Antrieb anbieten und bereits jetzt im Bundestag dafür werben«.
Bundeswehr nach Gaza
Aktuell spricht sich die grüne Außenministerin Annalena Baerbock dafür aus, die Bundeswehr solle sich an einer künftigen »Schutztruppe« beteiligen, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen absichern könne. Man könne dies tun »als einer der engsten Freunde, denen Israel absolut vertrauen kann«, erklärt Baerbock laut »tagesspiegel.de« vom 1. Oktober 2024.
CDU-Mann Kiesewetter stimmt zu und weist darauf hin, die Bundeswehr sei ohnehin im Rahmen des UNO-Einsatzes im Libanon (UNIFIL) sowie im Rahmen des NATO-Marineeinsatzes »Sea Guardian« in der Region präsent. Die Mandate dafür könne man »aufstocken und bei Bedarf auch hinsichtlich der Einsatzoptionen anpassen«, erklärt Kiesewetter.
Die »verteidigungspolitische Sprecherin« der Grünen, Sara Nanni, urteilt: »Sollte es ein Abkommen geben, das zur Befriedung der Region beiträgt, muß Deutschland zumindest anbieten, eine Rolle in einer künftigen Friedensordnung zu spielen.« Zustimmung äußert auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Joe Weingarten, der betont, man könne sich »einem solchen Wunsch nicht verweigern«. Weingarten schränkt lediglich ein: »Ein Kampfeinsatz deutscher Truppen in Gaza ist ausgeschlossen.«