Ausland21. Juli 2009

»Wir berührten den Himmel«

Vor 30 Jahren triumphierten die Sandinisten in Nicaragua

Die Nachricht elektrisierte die Welt: Am 19. Juli 1979 streckte in Nicaragua die hochgerüstete Somoza-Diktatur die Waffen. Der verhaßte Despot Anastasio Somoza Debayle flüchtete nach Miami, die Regierung übernahm ein Ausschuß, dem auch Daniel Ortega angehörte, der seit 2007 wieder Präsident des Landes ist. Wenige Tage später galten in dem zentralamerikanischen Land erstmals Menschenrechte, in Kraft gesetzt durch das »Gesetz über die Rechte und Garantien der Nicaraguaner«. Dieses hat auch heute Bestand und ist wohl eine der wichtigen Errungenschaften der Revolution, die nur ein gutes Jahrzehnt später mit einer Wahlniederlage 1990 ihr zumindest vorläufiges Ende fand.

Der Triumph der Revolution war das Resultat einer Volkserhebung, mit grundsätzlich Anti-imperialistischem und Anti-Diktatorischem Charakter. Mehr als vier Jahrzehnte des Widerstandes gegen die Besatzer aus den USA und ihre brutalen Schergen hatten den Weg geebnet. Dem reaktionären herrschenden Gesellschaftskonzept hielt die Bewegung ihre Idee einer radikalen Demokratisierung und gutem Leben für die Massen entgegen. »Die historischen Wurzeln des revolutionären Prozesses stehen in Verbindung mit der Tatsache, daß Nicaragua immer einen zentralen Platz in der Begierde des US-Imperialismus einnahm«, sagte der Politologie Alberto Cortes im Gespräch mit der »Zeitung«. Der aus Nicaragua stammende Cortes gehört dem akademischen Rat der Universität von Costa Rica (UCR) an.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestand die Begierde der dominanten Macht im Norden vor allem in Nicaraguas Potential für den Bau eines schiffbaren Kanals zwischen Atlantik und Pazifik. Der Plan vom Nicaraguakanal wurde zugunsten des Panamakanals verworfen, dennoch mußte das Land aufgrund seiner Möglichkeiten allerlei negative Konsequenzen erleiden, die USA entsandten Kanonenboote und Marinesoldaten, die durchgehend – abgesehen von einer kurzen Pause 1926 – bis 1933 stationiert blieben, um den Hegemonieanspruch des Imperiums durchzusetzen.

Vertrieben wurden sie schließlich vom Nationalhelden Augusto César Sandino. Sie gingen aber nicht, ohne einen Nachfolger herangezogen zu haben: Die berüchtigte Nationalgarde. Deren Kommando übernahm Anastasio Somoza. Seinen größten Gegner beseitigte er 1934: Sandino ließ er nach Friedensverhandlungen in Managua hinterrücks ermorden. Bereits 1936 putschte er dann und begründete die Diktatorendynastie der Somozas. Nach seiner Ermordung durch den Dichter Rigoberto López Perez führten seine Söhne die Terrorherrschaft weiter. Die Masse der besitzlosen Landarbeiter arbeitete Sklaven gleich auf den Bananen- und Zuckerrohrplantagen der Großgrundbesitzer. Lohn bekamen sie in der Regel nicht ausgezahlt, denn dieser ging drauf für das Anschreiben in den Läden der Plantagenbarone. Dort mußten die Arbeiter Nahrung, Alkohol und Dinge des täglichen Bedarfs zu Mondpreisen kaufen, denn es waren die einzigen Geschäfte und Gastwirtschaften weit und breit.

Unmut wächst

Gegen diese Arbeitsbedingungen und die militärische Unterdrückung formierte sich Widerstand. Politischen Ausdruck gaben ihm junge Revolutionäre wie der Landarbeitersohn Carlos Fonseca. Insbesondere in den Nachbarländern Honduras und Costa Rica operierten die Organisationen, die sich im Jahr 1961 zur Nationalen Befreiungsfront vereinigen sollten. Der Name war angelehnt an die revolutionäre Volksbewegung von Algerien. Carlos Fonseca ergänzte ihn um den Namen des Nationalhelden Sandino. Ein Geniestreich, der identitätsstiftend wurde für die gesamte nicaraguanische Befreiungsbewegung. Verschiedene ideologische Richtungen vereinten sich unter dem Dach der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront (FSLN) – zum Beispiel radikale Bürgerliche, Marxisten und Anhänger der Befreiungstheologie. Drei Hauptströmungen formten sich in den Jahren des Befreiungskampfes: Die GPP-Fraktion, der »andauernde Volkskrieg«, orientierte sich auf den Guerillakrieg und gewann seine wichtigste Basis unter verarmten Kleinbauern; die »proletarische Strömung« setzte auf Sabotage und Destabilisierungsaktionen und hatte vor allem Zulauf in den Städten, und zuletzt die eher gemäßigte Gruppierung der »Aufständischen«.

Während die Sandinisten erstarkten, wurde das Regime der Somozas zunehmend instabiler. Korruption war zum System geworden und vor allem Teile des Bürgertums, die bei der Verteilung der Pfründe übergangen wurden, schlugen sich auf die Seite der Somoza-Gegner. International geriet das Regime unter Druck, weil sich der Diktator z.B. persönlich bereicherte an den Hilfsgeldern aus dem Ausland nach einem schweren Erdbeben 1972. Dazu kamen der Mord an einem US-Journalisten und dem nicaraguanischen Zeitungsverleger und bürgerlichen Oppositionellen Pedro Chamorro. Zum Nachteil gereichte dem Militärregime zudem, daß seine Schutzmacht USA nach der Niederlage in Vietnam geschwächt war. Die Sandinisten erfuhren hingegen eine erfolgreiche internationale Solidaritätskampagne und sogar einige Regierungen unterstützte sie mit Waffenlieferungen.
Dennoch war der Weg zum Sieg lang, begleitet von viel Schweiß und Blut. In ihrer Jugend hatte sich die Honduranerin Quxabel Cardenas den Sandinisten angeschlossen. Sie erinnert sich an die zahlreichen Kämpfe um die kleine Hafenstadt Corinto am Pazifikufer von Nord-Nicaragua, ihre Narben aus dieser Zeit trägt sie stolz. »Es war ein Kampf David gegen Goliath. Nur wenige Wochen vor der siegreichen Offensive 1979 hatten wir kaum Waffen zur Verfügung. Damals eroberten wir ein Panzerfahrzeug, das von einer ganzen Einheit gut bewaffneter Soldaten begleitet wurde. Wir waren 32 Mann, bewaffnet mit einem Maschinengewehr und16 Jagdgewehren. Der Rest hatte nur Pistolen«.
Alberto Cortes beschreibt seine Gefühle vom 19. Juli 1979 so: »Es war ein Moment von tiefer nationaler Einheit, von Jubel und Feiern. Wir berührten den Himmel!«.

Was bleibt

Schnell geriet die junge Revolution in die Defensive, denn die USA reagierten mit Hysterie. Besonders die Wahl von Ronald Reagan zum US-Präsidenten 1981 erschwerte die Lage ganz erheblich, denn dem reaktionären Politiker waren auch illegale Mittel Recht, um die angeblich kommunistische Gefahr im eigenen »Hinterhof« zu beseitigen. Die Basis für seinen Contra-Krieg waren ehemalige Mitglieder der Nationalgarde, die von der CIA ausgebildet wurden und Position in Honduras und Costa Rica bezogen.

»Der von den USA aufgezwungene Krieg führte notwendiger Weise zur Militarisierung der nicaraguanischen Gesellschaft. Es war der einzige Weg, um sich zu verteidigen. Aber am Ende auch ein Faktor, der zur Niederlage bei den Wahlen 1990 führte«, sagte Alberto Cortes.
Natürlich ist die Schuld an der Niederlage nicht nur beim Feind zu suchen, auch die Sandinisten haben Fehler gemacht. Ein zentraler Programmpunkt der Sandinisten war die Durchführung einer Landreform. Diese wurde durchgeführt, aber in Form von industriellen Kooperativen, welche oft weder der Lebensweise der Kleinbauern entsprachen, noch ihren Erwartungen. Man hatte ihnen eigenes Land versprochen. Volkswirtschaftlich versuchte sich das sandinistische Nicaragua an einer Mischökonomie aus starkem Staatssektor und »patriotischen« Unternehmen. Dieses Konzept ist bis heute umstritten.

Die Sandinisten sind heute gespalten. Die Regierung stellt die FSLN, den Kurs von Präsident Daniel Ortega lehnen die sozialdemokratischen Erneuerungs-Sandinisten des MRS als autoritär ab. Und auch die kleine Strömung zur »Rettung des Sandinismus – RESCATE« sieht in der aktuellen Regierung keine Fortführung der Revolution, sondern nur begrenzten Klientalismus von Präsident Daniel Ortega und seiner Frau Rosario Murillo.

»Die Revolution hat profunde soziale Änderungen angestoßen. Ihre größte Errungenschaft ist, daß auch die Armen und Marginalisierten heute mit einer Menschenwürde rechnen können, die ihnen zur Somoza-Diktatur verwehrt blieb. Dazu kommen die Erfolg bei Demokratisierung der Bildung, Alphabetisierung, Gesundheit, Verteilung des Reichtums, Agrarreform und der kulturelle Aufbruch«, bilanzierte Alberto Cortes.

Torge Löding