Ausland17. Dezember 2022

Öl hat Priorität

Abkommen zwischen venezolanischer Regierung und Opposition. Washington rückt weiter von Guaidó ab

von Volker Hermsdorf

Der Versuch Washingtons, mit dem Rechtspolitiker Juan Guaidó einen eigenen »Übergangspräsidenten« in Venezuela zu installieren, ist endgültig gescheitert. Anfang des Monats unterzeichneten Regierung und Opposition in Mexiko-Stadt ein umfassendes Teilabkommen über humanitäre Zusammenarbeit und soziale Sicherheit. Das eröffne »ein neues Kapitel für Venezuela« erklärte der gewählte Staats- und Regierungschef Nicolás Maduro per Twitter. »In dieser neuen Phase« gehe die Regierung Maduro gestärkt in den Dialog, gab die rechtskonservative US-amerikanische Tageszeitung »Nuevo Herald« zu. Allerdings dürfte die Einigung vor allem deswegen »gelungen« sein, weil das Ergebnis auch den Interessen der USA nützt.

Dennoch wertet die Regierung in Caracas die Wiederaufnahme der Gespräche nach gut einem Jahr und die in Mexiko vereinbarten Regelungen als Erfolg. Das Abkommen sieht die Einrichtung eines Ausschusses für Sozialprogramme vor, dessen Budget durch die Freigabe von Ressourcen und Vermögenswerten des venezolanischen Staates finanziert wird, die aufgrund von Sanktionen der USA und mit ihnen verbündeter Länder beschlagnahmt oder eingefroren wurden. Es gehe darum, »entführtes Geld zurückzuholen«, hatte Maduro als Verhandlungsziel vorgegeben.

Aus dem auf rund drei Milliarden US-Dollar geschätzten Sozialfonds sollen Gesundheits-, Ernährungs- und Bildungsprogramme finanziert, das öffentliche Stromnetz instandgesetzt und Familien unterstützt werden, die von den schweren Regenfällen in der zweiten Jahreshälfte betroffen sind. Laut einer auf der Internetseite des venezolanischen Außenministeriums veröffentlichten Mitteilung wird die UNO die Einrichtung und Verwaltung des Fonds unterstützen. Eine aus Vertretern beider Parteien bestehende Gruppe soll die Umsetzung der Sozialpläne und -programme überwachen. Die Unterstützung solle vor allem »der schwächsten Bevölkerungsgruppe zugutekommen, die durch die Blockade der USA und der EU stark betroffen sind«, berichtete das venezolanische Onlineportal »Orinoco Tribune«.

In einer gemeinsamen Mitteilung hatten die Außenminister der USA, Britanniens und Kanadas sowie der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Wiederaufnahme des Dialogs begrüßt. »Wir bekräftigen unsere Bereitschaft, die Sanktionspolitik zu überprüfen, wenn das Regime in den angekündigten Gesprächen sinnvolle Fortschritte macht, um das Leiden des venezolanischen Volkes zu lindern und es einer Wiederherstellung der Demokratie näher zu bringen«, heißt es in der vom Washingtoner State Department veröffentlichten Erklärung aber auch im Stil von Kolonialherren. Die EU-Kommission hatte erst Anfang November die von Brüssel gegen Venezuela verhängten Sanktionen verlängert. Washington kündigte dagegen nach Unterzeichnung des Abkommens an, einige Restriktionen zu lockern. So erlaubt das Finanzministerium dem US-amerikanischen Ölkonzern Chevron in einem begrenztem Umfang die Wiederaufnahme der Ölförderung in Venezuela.

Allerdings verbietet Washington einem von Chevron und der staatlichen venezolanischen Ölgesellschaft PDVSA gebildeten Joint Venture »den Verkauf von Erdöl oder Erdölerzeugnissen für die Ausfuhr in ein anderes Land als die USA«. Hauptmotiv für die Lockerung der Sanktionen sei es, »den exzessiven Anstieg der Kraftstoffpreise in den USA einzudämmen«, kommentierte das venezolanische Nachrichtenportal »Últimas Noticias«. Die Klausel sei auch ein Versuch, »den Bumerangeffekt der EU-Blockade russischer Energieprodukte zu vermeiden, der durch Druck Washingtons aufgrund des Krieges in der Ukraine ausgelöst wurde, die Ölpreise weltweit in die Höhe trieb und die EU dazu zwingt, denselben russischen Brennstoff zu einem höheren Preis über Drittländer zu kaufen«.

Die Nachrichtenagentur AFP meldete, ein »hochrangiger USA-Regierungsbeamter« habe gleichzeitig erklärt, daß »alle anderen Sanktionen bestehen bleiben«. Die USA würden diese »weiterhin energisch durchsetzen« und jeden, der gegen USA-Vorgaben verstoße, »zur Rechenschaft ziehen«, habe der Beamte gedroht.