Ausland10. Juli 2009

Uigurischer Separatismus – US-Trumpf im Großen Spiel

Nach den blutigen Krawallen in der nordwestchinesischen Provinz Xinjiang vom Sonntag hat sich die Lage in der Hauptstadt Ürümqi wieder stabilisiert. Am Mittwochmorgen wurde das Ausgangsverbot aufgehoben. Die Versuche der mit Knüppeln und Eisenstangen bewaffneten Han-chinesischen Gruppen, am Dienstag in der Hauptstadt Ürümqi auf Rachefeldzug gegen Uiguren zu gehen, konnte weitgehend von den inzwischen 20.000 Sicherheitskräften unterbunden werden.

Allerdings hat der chinesische Präsident angesichts des erschreckenden Ausmaßes der blutigen Unruhen seine Teilnahme am G8-Gipfel in Italien abgesagt – ein herber Gesichtsverlust für Peking.

Auslöser der Unruhen vom Sonntagabend war der Tod zweier uigurischer Wanderarbeiter in einer Tausende Kilometer entfernten Fabrik im südchinesischen Shaoguan. Bei Auseinandersetzungen wegen Arbeitsentlassungen waren die beiden angeblich auf brutale Weise totgeschlagen worden. Diese Nachricht kam aber nicht über Radio oder Zeitungen, sondern mit den blutigen Details per Video aufs Handy. Ob es sich tatsächlich um authentische Bilder handelte, wird wohl nie geklärt werden. Das Video genügte aber, um die Stimmung aufzuheizen.

Ähnlich wie beim Tod der jungen iranischen Frau Neda in Teheran, deren letzten Momente als Video zigtausenfach über Programme wie Twitter an Handys verschickt worden waren, hat auch in diesem Fall ein anonym über Mobilfunk massenhaft verbreiteter Film die Empörung der Menschen geschürt, dann deren Wut per SMS-Botschaften gegen Han-chinesische Mitbürger kanalisiert und ihre Aktionen dirigiert und koordiniert. Die vorläufige Bilanz der Unruhen: über 156 Menschen wurden getötet, darunter sogar Kinder, über Tausend Menschen wurden verletzt. Bei den Toten handelt es sich hauptsächlich um Han-Chinesen.

Als eine der ersten Maßnahmen gegen die Unruhen haben daher die Sicherheitskräfte in Xinjiang den aus dem Ausland gesteuerten Twitter abgeschaltet, ebenso die Webseiten der sogenannten »Drei Kräfte«, wie die drei ethnisch-uigurischen Gruppen offiziell genannt werden, die entweder einem militanten Nationalismus oder einem religiösen Extremismus oder einem rassistisch geprägten Gewaltseparatismus anhängen. Die Anführer dieser Gruppen leben in der Regel im westlichen Exil, und ihr Ziel ist ein unabhängiger uigurischer Staat Ost-Turkestan, der sich hauptsächlich aus dem Territorium der chinesischen Provinz Xinjiang, aber auch aus Teilen der benachbarten zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgi­sien und Tadschikistan zusammensetzt.

Der Gouverneur von Xinjiang, Nuer Baikeli, beschuldigte am Dienstag den in München ansässigen »Weltkongreß der Uiguren«, die Unruhen organisiert zu haben. Der Kongreß wird von der gut betuchten uigurischen Geschäftsfrau Rebiya Kadeer angeführt, die in den USA lebt, wo sie über gute politische Kontakte verfügt und vielfältige Unterstützung genießt, denn Xinjiang bedeckt nicht nur ein Sechstel des chinesischen Territoriums, sondern es ist auch reich an Rohstoffen, insbesondere an Öl und Gas.

Außerdem wäre ein unabhängiges Ost-Turkestan ein neuer Trumpf im »Großen Spiel«, denn China würde von Zentralasien abgeschnitten und damit würde auf diesem bedeutenden geostrategischen Spielfeld einer der Hauptkonkurrenten der USA bedeutend geschwächt werden.

Rainer Rupp