Kultur28. Februar 2014

Elfenbeintestament

Vom Titel und vom Wort Vorwort abgesehen, welche in Kapitaldruck sind, nimmt der brillante Luxemburger Dichter Laurent Fels in seiner jüngsten Gedichtsammlung Abstand von der deutschen Rechtschreibung und schreibt alles klein. Wie die Niederländer?, werdet ihr mich fragen. Nein, nicht nur, auch Namen, auch Satzanfänge schreibt er klein. Damit lässt Laurent seine Poesie außerhalb der Zeit und, so in etwa wie Schiller mit dem Zauber der Poesie, über der Mode strenge Teilung schweben. Allerdings kann ich hier die Stimmung kaum als freudig bezeichnen, was nicht nur erwähntes Elfenbeintestament (1), immerhin etwas mit dem Tode Verbundenes, sondern auch die für Laurent-Fels-Kenner bekannte Dramaturgie (La dernière tombe restera ouverte, Ourganos) (2) erahnen lässt.

Der bekannte Dichter Émile Hemmen (3) beschreibt Laurent Fels (ebenfalls nur kleingeschrieben) in seiner Einleitung als »ein dichter des innern, wo kein wort ins leere tritt. Ein junger dichter der weiß, dass man viel irdisches ertragen muss. groß reift es als motiv im elfenbeintestament heran, bis in das unendliche hinein wo das gedicht nach menschlichem schreit«. Hemmen bezeichnet seinen Freund Laurent als »ein dichter, der emotionale feinsinnigkeit und existierende betroffenheit zu artikulieren versteht. Jenseits dessen wo das wort aufhört wort zu sein und wo es als schrei „im sand des vergessens“ nach innen wächst. ein testament, das der dichter in ehrfurcht und im zorn umkreist...« Das Elfenbeintestament zeugt von der scheinbaren Introvertiertheit des Dichters, der zwar das Äußere nicht ablehnt, doch nur dessen Quintessenz – das Reinste, das des Elfenbeins – in sich, in den Elfenbeinturm seines Geistes aufnimmt, verarbeitet, »bis in das unendliche hinein wo das gedicht nach menschlichem schreit« führt und den Lesern zusammen mit seinem schmerzenden Ich darbietet.

Damit des Dichters Rufe nicht einfach in den Wind verstreut werden, müssen sie jedoch jene erreichen denen sie zugedacht sind: alle. Poesie ist also Jedermanns Sache, auch und umso mehr wenn sie auf Anhieb schwierig zu verstehen scheint. Entgegen gängiger oberflächlicher Literatur, eigentlich gar keine, sondern nur schriftliche herz- und geistlose Beschriftung, verlangt das Gedicht oft als rätselhaftes Kleinod, so wie es ist (nicht unbedingt sofort verstanden), akzeptiert und verinnerlicht zu werden. Dies ist weniger der Fall in der klassischen Dichtung, doch immer mehr im Symboldurchflochtenen scheinbar hermetischem Sprudeln moderner Verskunst von Poeten wie zum Beispiel Anise Koltz, Lambert Schlechter, Paul Mathieu, José Ensch, Émile Hemmen, Jalel El Gharbi oder eben Laurent Fels. Auf erste Sicht entdeckt der Leser nur das Schöne, das Harmonische, das Musikalische, die im Gegenzug seinerseits Musischsein verlangen, also jene Offenheit, ja geistige Verfügbarkeit, die es dem Dichter erlaubt, ihm seine Botschaft durch seine Symbolik hindurch zu beleuchten.

Ja, denn »du trägst die Stunde / deines erlöschens / mit zerfetzten händen / zu den in den Wind gestreuten / Rufen« bestätigt uns Laurent Fels erstmals in einer deutschsprachigen Sammlung, und dass die »haut auf der sich das / elefenbein- / testament / berührt /// treibt sinnlos im sand / des vergessens«. Laurents Diwan ist, so wie viele seiner Werke, düster, ja beinahe todestrunken, eben ein beinahe »ante portas mortis«, ein Testament. Dies führt weiter an das Paul Celan gewidmete Gedicht (4): »eine niemandrose / gepresst an die wunden der zeit / von stahlpartikeln durchbohrt / im baum des vermächtnisses / halbstummer zeuge des gitters«, ein Höhepunkt des Werkes. Jedoch scheint Laurent irgendwie dem Lebenden (dem Dichter, oder?) hie und da eine Überlebenschance zu gewähren, doch nur eine (?), also ein Etwas, an das es sich zu klammern lohnt: »du vergisst den halm – / es bleibt dir ein einziger..« und, ein paar Seiten weiter »dort wo finsternis / die augen schliesst / leuchtet ein stern / ein einziger«.

Laurent Fels studierte Klassische Philologie und Literaturwissenschaft an der Universität Luxemburg und an der Universität Metz. Im Jahr 2004 gründete er die Literaturzeitschrift Les Cahiers de Poésie, die vier Mal im Jahr erscheint und die er zusammen mit dem Pariser Schriftsteller und Verleger Joseph Ouaknine leitet. Als Mitglied der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste und des Forschungszentrums »Écritures« der Universität Metz ist er der wissenschaftliche Herausgeber der Reihe Regards sur la poésie du XXe siècle. Laurent Fels ist seit April 2009 Mitglied der Europäischen Akademie der Lyrik. Außerdem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an mehreren literarischen Institutionen wie der Société de littérature générale et comparée der Universität Luxemburg und der Society for French Studies der Oxford University. Sein dichterisches Werk wurde 2007 mit dem Grand Prix de Littérature der Académie Nationale de Metz geehrt. (5)
Bevor wir uns trennen, liebe Leser, komme ich nicht daran vorbei, den außerordentlichen künstlerischen Beitrag von Dany Dickes zu diesem Buch zu erwähnen: ein anderthalb Dutzend eindrucksvolle abstrakte Bilder in dichter, kraftvoller Mischtechnik gestaltet und gemalt. Quadratisch, oft in leichtem Basrelief, eine Farbenskala vom gebrochenen Weiß über alle Ockern bis zu Schwarz durchwandernd, scheinen sie durch eine Art Schattendruck auf der jeweilig gegenüberliegenden Textseite zutiefst mit Laurents Poesien verflochten zu sein. Diese wirken demnach wie auf rehabilitierten Leichentüchern geschriebene Palimpseste. Viele dieser Bilder können übrigens auf http://www. dany-dickes.com/ (boutique) besichtigt werden, doch bleibt ihre geniale Wechselwirkung mit Laurents Versen im Elfenbeintestament eben diesem vorbehalten. Die Künstlerin Dany Dickes hat 1998 bis 2002 den DEUG, die Lizenz, den Master und den DEA Bildende Künste in Straßburg erhalten. Sie ist seit 2001 Kunstprofessorin im LAML und seit 2013 im LGL. Mehr (doch bedauerlicherweise karge) Bio-Einzelheiten findet man ebenfalls auf schon erwähnter Internetseite.

Giulio-Enrico Pisani

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1) Elfenbeintestament, Gedichtsammlung von Laurent Fels, illustriert von Dany Dickes, Éditions Poiêtes, 52 Seiten, auf wenige Exemplare begrenzte, sehr schöne Kunstausgabe

2) Über seine Werke siehe auch Wikipedia, sowie einige meiner Artikel, die man »on line« lesen kann: www.zlv.lu/spip/spip.php?article3116, www.zlv.lu/spip/spip.php?article7558, www.zlv.lu/spip/spip.php?article30, www.zlv.lu/spip/spip.php?article1995; andere sind jedoch nur noch in den Archiven der Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek zu lesen: 25.4.06 «Comme un sourire», 19.6.07 «Intermittences», 13. 12.07 «Sous l’égide du bleu - essai sur l’oeuvre d’Élisa Huttin», 21.12.07 «La dernière tombe restera ouverte», 2.4.09 «Regards sur la poésie du XXe siècle -Tome I».

3) Émile Hemmen kennen viele Leser der Zeitung, wo ich seine Werke «Histoires de soifs» (22.9.2004), «Jeux de pistes» (9.1.2007) et «L’arbre chauve» (13.7.2007) vorgestellt habe.

4) Ich nehme an, besonders Paul Celans Gedichtsammlung »Die Niemandsrose« gedenkend.

5) Laut Wikipedia. Siehe auch die biographische Übersicht (auf französisch) auf www.zlv.lu/spip/spip.php?article7558.