Ausland

Vor 20 Jahren

Mit dem Abkommen von Dayton entstand das Protektorat Bosnien-Herzegowina

Schon das internationale Kfz-Kennzeichen »BiH« läßt vermuten, daß es sich bei Bosnien-Herzegowina um ein kompliziertes Gebilde handelt. Dem ist auch 20 Jahre nach Kriegsende so. Die Unterzeichnung des Abkommens von Dayton am 21. November 1995 hat ein Staatsgebilde hinterlassen, das bis heute im Inneren gespalten ist und von außen dirigiert wird.
Bevor die Präsidenten Bosniens, Alija Izetbegović, Serbiens, Slobodan Milosević, und Kroatiens, Franjo Tudjman am 1. November 1995 nach Dayton in den USA-Bundesstaat Ohio kamen, um dort ein Friedensabkommen auszuhandeln, hatte die NATO in den bosnischen Bürgerkrieg militärisch eingegriffen. Seit Ende 1994 flogen USA-Kampfjets Angriffe gegen bosnisch-serbische Stellungen und änderten damit das Kräfteverhältnis am Boden.

20 lange Novembertage waren die drei Präsidenten der ex-jugoslawischen Republiken in Dayton kaserniert. Außer der moslemischen Seite – in Person von Izetbegović – nahm kein anderer Bosnier an den Gesprächen teil. Die letztlich ausgebrütete Landkarte wies 50 Prozent des Territoriums der bosnisch-kroatischen Föderation und 49 Prozent der Republika Srpska zu. Das fehlende Prozent bildete der Distrikt Brčko, der zwischen den beiden serbischen Teilen liegt. Eine spätere Entscheidung machte daraus ein Kondominium, das de facto von der Zentralregierung verwaltet wird.

Neben der Territorialfrage entschied Dayton vor allem über die Verwaltungsstruktur. Erstmals seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entstand in Europa wieder ein Protektorat. Die UNO-Resolution 1031 führte die Position eines »Hohen Repräsentanten« ein, der über umfassende politische Vollmachten verfügt und über den nationalen Legislativen steht. Was darunter zu verstehen ist, zeigte der Spanier Carlos Westendorp bereits am 5. März 1999, als er den gewählten Präsidenten der Republika Srpska, Nikola Poplašen, aus dem Amt warf.

Kurz vor dem NATO-Angriff auf Jugoslawien glaubte man im Westen, damit die serbische Seite schwächen zu können. Die Absetzung von mißliebigen Politkern und die Schließung unliebsamer Medien gehören seitdem zum Geschäft des »Hohen Repräsentanten« . Die spektakulär­ste Intervention fand am 18.itsch 500 NATO-Soldaten in SFOR-Kluft anforderte und gepanzerte Fahrzeuge sowie Hubschrauber einsetzte, um damit die »Herzegovačka Banka« zu sprengen. Die war dem Kolonialverwalter ein Dorn im Auge, weil er darin das finanzielle Herzstück der »Kroatischen Demokratischen Union« (HDZ) vermutete, immerhin die Mehrheitspartei der bosnischen Kroaten. Ihren Chef, Ante Jelavić, hatte Petritsch einen Monat zuvor seiner Funktion enthoben. Der Vorwurf, der immer ohne jedes Rechtsmittel direkt zu Amtsenthebungen oder Schließungen führt, lautete in allen Fällen auf »Verstoß gegen das Dayton-Abkommen« , oder einfacher gesagt : Nationalismus-Verdacht.

Unterhalb des »Hohen Repräsentanten« , der jedes halbe Jahr einen Tätigkeitsbericht an einen mittlerweile aus 50 Ländern bestehenden Rat vorlegen muß, hat Bosnien-Herzegowina über die Jahre eine nirgendwo sonst so dichte Bürokratie aufgebaut : der gesamtstaatlichen – machtlosen – Verwaltung stehen zwei Entitäten, die bosnisch-kroatische Föderation und die Republika Srpska gegenüber, wobei die Föderation wiederum in zehn Kantone geteilt ist. Für die gerade einmal 2,3 Millionen Einwohner bieten sich, politisches Wohlwollen vorausgesetzt, jede Menge Karrierechancen im bürokratischen Apparat.

Die deutschsprachigen Medien nehmen vom Land zuletzt nur dann Notiz, wenn der Führer der Republika Srpska, Milorad Dodić, wieder einmal mit einem Referendum zur Abspaltung droht. Zuletzt forderte er im September 2015 einen Volksentscheid über die gesamtstaatliche Justiz, die er bekämpft. Nach heftigen Querelen könnte es im Frühjahr 2016 dazu kommen. Die Mehrheit der bosnischen Serben weiß Dodik hinter sich, die will lieber heute als morgen raus aus dem ungeliebten Bosnien-Herzegowina.

Hannes Hofbauer, Wien