Zweierlei Maß
In den bürgerlichen Medien werden die Opfer staatlicher Repression nicht gleich behandelt.
Im Juni wurde eine junge Frau im Iran getötet. Obwohl nicht geklärt ist, wer sie aus welchen Gründen umbrachte, tauchte ihr Gesicht binnen weniger Tage auf T-Shirts und Transparenten der Demonstranten auf, die gegen die Wiederwahl von Präsident Mahmud Ahmadinedschad protestierten. Und da der Westen den Iran zum Feind erklärt hat, verbreiteten die bürgerlichen Medien ihren Namen – Neda – weltweit.
Doch als die Putschisten in Honduras sechs Menschen töteten, die friedlich gegen den Staatsstreich und für die Rückkehr des legitimen Präsidenten Manuel Zelaya protestierten, hielten es die meisten Bürgermedien noch nicht einmal für angebracht, darüber zu berichten. Und natürlich erfuhr man in Westeuropa nicht, wie die Getöteten hießen.
Auch im noch immer von 134.000 US-Soldaten und ihren Verbündeten besetzt gehaltenen Irak, wo das Regime inklusive seiner Gerichte und Gefängnisse seine ganze Existenz der US-Invasion und
Okkupation verdankt, werden die Namen der Opfer staatlicher Repression nur dann genannt, wenn sie sich als »Terroristen« dämonisieren lassen.
Im März 2007 machten ausländische Unterstützer des irakischen Widerstands auf das Schicksal dreier irakischer Frauen aufmerksam, die das Bagdader Regime hinrichten lassen wollte. Eine der Frauen wurde beschuldigt, fünf Offiziere der Quisling-Polizei getötet zu haben, eine andere soll sich an einem Angriff auf eine gemeinsame Patrouille der irakischen und US-amerikanischen Armee in Bagdad beteiligt haben und der dritten Frau wurde vorgeworfen, während eines Entführungsversuchs in der streng bewachten Grünen Zone in Bagdad einen Funktionär getötet zu haben.
Selbst wenn die Anklagen gegen sie gerechtfertigt sein sollten, so sind die drei Frauen in den Augen der Mehrheit der Menschen im Irak doch nichts anderes als Freiheitskämpferinnen, die das Selbstbestimmungsrecht des irakischen Volkes verteidigen. Angesichts der herrschenden Gesetzlosigkeit im Irak ist allerdings zu befürchten, daß Folter und Vergewaltigungen zu ihrer Verurteilung geführt haben. Selbst Organisationen wie die UNO-Menschenrechtskommission oder Amnesty International, die dem irakischen Widerstand ablehnend gegenüberstehen, haben die Strafjustiz im besetzten Zweistromland mehrfach verurteilt.
Dank einer internationalen Solidaritätskampagne wurden die Todesurteile im vergangenen Jahr nicht vollstreckt und die Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftungen des UNO-Menschenrechtsrates (UNWGAD) erklärte, daß »die drei irakischen Frauen nicht hingerichtet werden, bevor ein Berufungsgericht über ihre Fälle entschieden hat«.
Doch die internationale Solidaritätskampagne wies umgehend darauf hin, daß dieses Versprechen von den irakischen Autoritäten stammt: »Das reicht uns nicht. Wir verlangen Einsicht in die Anklageschriften, auf deren Basis die drei irakischen Frauen weiterhin gefangengehalten werden. Wir wollen wissen, wann ihre Berufungsanhörungen stattfinden sollen. Wir verlangen eine öffentliche Erklärung. Wir fordern, daß ihnen der Schutz der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zuteil wird«.
Die Befürchtungen waren berechtigt. Nun droht zwei der Frauen, Wassan Talib und Samar Sa’ad Abdullah, erneut die Hinrichtung. Laut Amnesty International befinden sich die beiden unter jenen »mindestens neun Frauen im Irak, deren Todesurteil kürzlich bestätigt wurde und deren Hinrichtung unmittelbar bevorsteht«. Eine der beiden Frauen habe erklärt, sie sei mit Folter zu einem falschen Geständnis gezwungen worden.
In den vergangenen fünf Jahren wurden mehr als 1.000 Iraker hingerichtet und noch immer befinden sich über hundert in den Todeszellen des Regimes. Damit sowie mit der Besatzung muß endlich Schluß sein!
Oliver Wagner