Der Kampf um Palästina
Seit Jahrzehnten stand Palästina nicht mehr so im internationalen Rampenlicht, wie seit Beginn des aktuellen Krieges am 7. Oktober 2023. Während Israel den palästinensischen Gaza-Streifen in Schutt und Asche bombt und für 2,3 Millionen Palästinenser unbewohnbar macht, versuchen die palästinensischen Qassam-Brigaden und ihre Verbündeten die Existenz Palästinas zu behaupten. Diverse ausländische Akteure nutzen den ungleichen Kampf, um eigene Interessen durchzusetzen. Die Palästinenser bezahlen mit ihrem Leben dafür, daß sie ihre Heimat nicht hergeben und nicht verlassen wollen.
Der geschichtliche Kontext
Vor knapp 1000 Jahren begannen die Kreuzzüge, die eine 100-jährige Fremdherrschaft in Palästina erzwangen, im 15. Jahrhundert fiel das Land ans Osmanische Reich. Im ersten Weltkrieg (1914-1918) teilten die beiden europäischen Kolonialmächte Frankreich und Großbritannien den gesamten »Fruchtbaren Halbmond« untereinander entsprechend ihrer Interessen auf, von dem Palästina – in Einheit mit Libanon, Syrien – den westlichen Endpunkt bildete. Beide teilten ihr jeweiliges Mandatsgebiet weiter auf und Großbritannien zerlegte sein Mandatsgebiet Palästina noch einmal, es entstand Transjordanien.
Nach dem 2. Weltkrieg (1939-1945) entschied dann die neu gegründete UNO, das britische Mandatsgebiet Palästina wiederum in einen jüdischen und in einen arabischen Staat aufzuteilen (UNO-Teilungsplan 1947). Weder die Araber noch die Zionisten, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in Palästina einen »Judenstaat« gründen wollten, waren mit dem Teilungsplan einverstanden. Die Zionisten wollten das ganze Land für sich und begannen mit der Vertreibung und Ermordung der arabischen Bevölkerung.
Im Mai 1948 riefen die Zionisten den Staat Israel ins Leben, Syrien, Jordanien und Ägypten reagierten mit Krieg. Ende 1949 konnte Israel den Krieg für sich entscheiden und hatte 78 Prozent des Gebietes besetzt, das 1947 im UNO-Teilungsplan in zwei Staaten aufgeteilt werden sollte. Die arabische Bevölkerung, die seit 1947 vertrieben worden war, lebte fortan als Inlandsvertriebene in Zeltlagern in Ostjerusalem, im Westjordanland und im Gaza-Streifen.
Sich diese Entwicklung in Erinnerung zu rufen ist wichtig, um den aktuellen Krieg und die Tiefe des Konflikts zu verstehen. Die Zionisten – geführt von der Likud-Partei und Benjamin Netanyahu – wollen das ganze Palästina für sich, das zeigen aktuelle Umfragen, das zeigt die fortgesetzte Besiedlung im besetzten Westjordanland.
Israel will das ganze Land
Das heutige Israel, seine Regierung und die Mehrheit seiner Bevölkerung wollen keinen palästinensischen Staat, wie es der UNO-Teilungsplan von 1947 oder das Oslo-Abkommen von 1993, das eine Zwei-Staaten-Lösung vorsahen. Das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat und auf Rückkehr (oder Entschädigung), wie zahlreiche Resolutionen sowohl des UNO-Sicherheitsrats als auch der UNO-Generalversammlung wieder und wieder forderten, hat für Israel keine Bedeutung. Offen werden Pläne diskutiert, die Menschen aus dem Gaza-Streifen in die Sinai-Wüste, die Menschen aus dem Westjordanland nach Jordanien zu vertreiben. Gaza soll vollständig von jüdischen Siedlern übernommen werden.
Die Hamas, gegen die Israel aktuell Krieg führt, besteht aus dem politischen Flügel um den Vorsitzenden Ismail Haniyeh, der im Exil in Doha, Katar lebt. Der militärische Flügel, die Qassam-Brigaden bestimmen das Geschehen. Sie kooperieren mit dem Islamischen Jihad und anderen, kleineren militanten Widerstandsgruppen. Mit der militärischen Operation am 7. Oktober sollte die Absperrung des Gaza-Streifens durchbrochen werden, israelische militärische Überwachungsanlagen des Gaza-Streifens zerstört, die dort stationierten Soldaten getötet oder gefangen genommen werden, um dann in den Gaza-Streifen zurückzukehren. Ziel war es, viele militärische und möglichst hochrangige Gefangene zu nehmen, um auf diesem Weg alle palästinensischen Gefangenen freizupressen. Verhandlungen darüber waren gescheitert.
Bei den aktuellen indirekten Verhandlungen halten die Qassam-Brigaden an ihrem Ziel fest und haben Anfang Februar einen Drei-Stufen-Plan vorgelegt, der über einen Zeitraum von 135 Tagen – etwa 4,5 Monaten – umgesetzt werden soll. Grundlage ist zunächst eine gegenseitige befristete Waffenruhe, die am Ende des Drei-Stufen-Plans in einen Waffenstillstand übergehen soll. Die israelische Armee soll sich aus dem gesamten Gazastreifen zurückziehen.
In den ersten 45 Tagen sollen alle weiblichen israelischen Gefangenen freigelassen werden, ebenso junge Männer unter 19 Jahren, die nicht der israelischen Armee angehören, sowie Alte und Kranke. Im Gegenzug soll Israel 1.500 palästinensische Gefangene freilassen: alle Frauen, alle Kinder und alle älteren Gefangenen. 500 dieser Gefangenen sollen diejenigen sein, die zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt wurden. Darüber hinaus fordern die Qassam-Brigaden mindestens 500 Lastwagen mit humanitären Hilfsgütern und mit Benzin täglich in den Gazastreifen. 60.000 Übergangsunterkünfte und 200.000 Zelte sollen errichtet werden. Die Inlandsvertriebenen müssen in ihre Wohnungen im Gaza-Streifen ungehindert zurückkehren können
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und sein Kriegskabinett haben den Plan abgelehnt. Die Hamas im Gaza-Streifen soll zerschlagen werden, ein Angriff auf die südliche Grenzstadt Rafah, wo sich mehr als 1 Million Inlandsvertriebene auf engstem Raum aufhalten, wird vorbereitet.
USA und EU an der Seite Israels
Die USA unterstützen Israel politisch, finanziell, medial, mit Waffen und militärischer Expertise. Im UNO-Sicherheitsrat blockieren und verzögern die USA Resolutionen, die einen sofortigen Waffenstillstand fordern und verschaffen Israel damit Zeit, seinen Krieg in Gaza fortzusetzen. Zuletzt legten die USA einen Resolutionsentwurf vor, in dem ein »Waffenstillstand so bald wie möglich« gefordert wird. Voraussetzung: die Freilassung aller israelischen Geiseln durch die Hamas.
Washington verschaffe Israel eine »Lizenz zur Tötung palästinensischer Zivilisten« kritisierte der russische Botschafter Wassili Nebensja den Resolutionsentwurf. Washington wolle den UNO-Sicherheitsrat weiter zu einem »Schutzschirm über die israelische Militär-Operation« in dem Küstenstreifen machen. Er forderte die anderen Mitgliedstaaten im UNO-Sicherheitsrat auf, dieses »destruktive Vorgehen« nicht zu unterstützen.
Das übergeordnete Ziel der USA ist es, ihre geopolitische Kontrolle über die gesamte Region zu stabilisieren. Kern dieses »Kontrollschirms« sind Israel und seine Armee, die voll in die militärische Sicherheitsstruktur der USA und der NATO eingebunden ist. Unter Netanjahu und seiner rechtsextremen siedlerkolonialen Regierung haben sich Konflikte innerhalb Israels und in den besetzten palästinensischen Gebieten verstärkt, die Israel und den Einfluß der USA schwächen. Der 7. Oktober hat diese Lage für die USA weiter verschärft.
Mit der Unterstützung des Gaza-Krieges will Washington Israel als regionalen Akteur stabilisieren und für die begonnene Politik der Normalisierung der Beziehungen mit den arabischen Golfstaaten wieder interessant zu machen. Da diese – zumindest vordergründig – dafür die Umsetzung der Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 mit Ostjerusalem als Hauptstadt des Staates Palästina fordern, haben die USA die Zwei-Staaten-Lösung wieder aus dem Regal geholt, wo sie fast zwei Jahrzehnte Staub angesetzt hatte, während der völkerrechtswidrige Siedlungsbau ungehindert voranging.
In Ermangelung politischen Interesses an einer wirklichen palästinensischen Lösung in Palästina – was eine inner-palästinensische Versöhnung, eine Einbeziehung der Hamas, Kooperation aller Organisationen mit der PLO und Neuwahlen bedeuten würde – bleibt der Plan der USA für eine mögliche Zwei-Staaten-Lösung mehr als vage. Auch die USA wollen die Hamas ausschalten. Also muß die Palästinensische Autonomiebehörde (PA)von Mahmud Abbas (Fatah) »wiederbelebt« werden, wie es USA-Außenminister Antony Blinken formulierte. Ein Regierungswechsel der PA soll einen »technokratischen Neuanfang« signalisieren. Wie diese am »Tag nach dem Krieg« in Gaza die Kontrolle übernehmen soll – in enger »Kooperation mit Israel«, versteht sich – ist völlig unklar. Größtes Hindernis bleibt sicherlich die große Ablehnung der Palästinenser gegen die Autonomiebehörde, nicht zuletzt wegen deren enger Kooperation mit Israel und israelischen Sicherheitskräften.
Um die arabischen Golfstaaten an dem Plan interessiert zu halten, bietet Washington Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und den Golf-Staaten umfangreiche militärische Zusammenarbeit an, wenn sie ihre Beziehungen mit Israel vertiefen und militärisch koordinieren. In Zukunft soll ein Dreigestirn aus NATO, EU und Israel den »Kontrollschirm« vom östlichen Mittelmeer bis zum Persischen Golf und darüber hinaus spannen und es so den USA ermöglichen, eine neue Front gegen China in Asien vorzubereiten.
Der Plan der USA für den Mittleren Osten dient nicht dem Schutz und der Entwicklung der Völker und ihrer Staaten in der Region, er dient der Konfrontation mit Rußland, mit dem Iran und mit China, und er soll die Interessen der USA und ihrer Partner – darunter die EU – für die Ausbeutung der Rohstoffe und die Kontrolle der Ost-West-Transportwege – Straße von Hormus, Arabisches Meer, Golf von Aden, Bab al-Mandab, Rotes Meer und Suez-Kanal – sichern.
China, Rußland und BRICS
China und Rußland haben in den letzten zehn Jahren erheblich an Einfluß in der Region gewonnen. Durch ihre Kooperation mit dem Iran, haben sie den Iran – entgegen aller martialischen Warnungen aus Israel – als Akteur in der Region gestärkt. Auch China ist an der Region aus Gründen der Geopolitik interessiert und will die vielen Konflikte durch Kooperation und Entwicklung stabilisieren. Ein Instrument dafür ist das Projekt der Neuen Seidenstraße, aber auch BRICS, der erstarkte politische Zusammenschluß Rußlands und Chinas mit dem globalen Süden, spielt zunehmend eine wichtige Rolle. Seit Beginn des Jahres 2024 gehören der Iran, die Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabien, Ägypten und Äthiopien dem Bündnis an und schaffen damit eine Brücke zwischen Asien, Westasien und Afrika rund um die Straße von Hormus, das Rote Meer und den Suez-Kanal, die zu den wichtigsten Meerengen der Welt zählen.
Die arabischen Golfstaaten nutzen ihre Position, von den USA und von China umworben zu werden. Katar versucht sich als Vermittler zu so genannten »Terror-Organisationen« einen Namen zu machen und hat im Hintergrund seine großen Gasvorkommen sowie die guten nachbarschaftlichen Beziehungen zum Iran. Saudi-Arabien will ein militärisches Schutzabkommen mit den USA und Unterstützung für ein eigenes Nuklearprogramm von den USA erzwingen, die Vereinigten Arabischen Emirate spezialisieren sich – mit teilweise israelischem Know-how – auf den Aus- und Aufbau sogenannter »Sicherheitstechnik« im Bereich von Überwachung und Künstlicher Intelligenz. Seit vielen Jahren gibt es zwischen NATO-Staaten und den Emiraten eine Kooperation in der Rüstungsproduktion.
Jordanien, dessen Bevölkerung zu mehr als 60 Prozent vertriebene Palästinenser und deren Nachfahren (1948, 1967, 1973) besteht, fristet ein abhängiges Dasein als Militärbasis der USA und Britanniens, die das Land mit dem Friedensvertrag von 1994 zur Kooperation mit Israel verpflichtet haben. Ägypten ist nach dem Friedensvertrag mit Israel von 1979 finanziell und militärisch ebenfalls von den USA abhängig. Syrien und der Libanon werden von der EU und den USA durch fortgesetzte Sanktionen, politische und juristische Interventionen in der Schwebe gehalten. Israel drangsaliert beide Staaten seit Jahrzehnten mit Besatzung, Krieg und Schattenkrieg. Beide Staaten werden an politischer Souveränität und Entwicklung gehindert.
Gespräche in Moskau
Das russische Außenministerium hat die palästinensischen Fraktionen zu einem mehrtägigen Dialog nach Moskau eingeladen. Seit Donnerstag sitzen zwölf palästinensische Organisationen zusammen, um einen Weg für eine nationale Einheit zu finden. Das sei die einzige Möglichkeit, die israelische Besatzung zu beenden, hieß es in einer Erklärung der Hamas.
»Alle, die sich hier versammelt haben, stimmen in dem Wunsch überein, das palästinensische Volk zu schützen«, so die Erklärung. »Wir unterstreichen die Notwendigkeit zur nationalen Einheit, um die Besatzung zu beenden und den externen Kräften, die sie unterstützen, insbesondere den Vereinigten Staaten, entgegenzutreten und das legitime Recht des palästinensischen Volkes auf die Errichtung eines eigenen unabhängigen Staates auszuüben.«