Luxemburg10. September 2021

Katastrophaler öffentlicher Personennahverkehr:

CFL macht Werbung für Fahrschulen

von Jean-Marie Jacoby

Die Schiene sollte theoretisch das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs im Land sein. Seit dem Beseitigen der Ringlinie – die Strecken sind eigentlich nur noch als Fahrradwege bekannt – gibt es jedoch bis auf kleine Reste wie die Strecke von Oetringen zum Hauptbahnhof keine Redundanz mehr. Tritt ein Problem auf, kann die Stelle nicht umfahren werden. Daran dachte damals niemand, denn Personentransport auf der Schiene war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis zur Stahlkrise nur Beiwerk zu den vorrangigen Koks- und Erzzügen. Das war damals wichtig und es wurde gar diskutiert, die störenden Personenzüge ganz einzustellen.

Wenigstens dazu kam es nicht, aber Luxemburg hat kein Schienennetz mehr, es hat nur noch Antennen, an denen noch kleinere Antennen hängen, die in Sackgassen enden. Im Zentrum des Ganzen liegt der Hauptbahnhof Luxemburg. So lange die Strecken keine technischen Probleme haben und keine geplanten Baustellen stattfinden, funktioniert das sogar. Sobald aber ein Problem auftaucht, wird es richtig problematisch.

Lösen läßt sich das Problem nur mit einer neuen Ringlinie, wobei da nicht unbedingt jede romantische Kurve der alten Strecke nachzuvollziehen ist. Ein guter Teil dieser Kurven entstand damals, wenn ein kleiner Bürgermeister oder Bauer kein feuerspuckendes Stahlroß in der Nähe seiner Kühe sehen wollte. Weil man es damals eilig hatte, wurde nicht lange verhandelt und herumgestritten, sondern umfahren.

Die Regierung als beinahe ausschließlicher Eigentümer der CFL denkt leider heute nicht im Entferntesten an eine solche Lösung des Problems. Sie klopft sich ständig auf die Schulter für das viele Geld, das aktuell in die Schiene gesteckt wird. Das ist zwar schön und gut, aber am Ende wird es immer erst wieder große und kleine Antennen geben, die zwar alle modernisiert sind, wo aber weiterhin selbst kleine Probleme direkt zu einem blockierenden Ereignis auf einer Strecke werden, das unmöglich zu umfahren ist.

Das alles ist wenig vorausschauend. Unsere Vorfahren haben mutiger geplant. Die vielen Schienenkilometer wurden ohne die heutigen technischen Hilfsmittel in kürzester Zeit verlegt für ein Land, in dem es damals noch nicht einmal 250.000 Einwohner gab. Abgebaut wurde das, was uns heute fehlt, zu jener Zeit, als die Bevölkerungszahl um die 350.000 drehte.

Heute nähern wir uns der Zahl 650.000 (1. Januar 2021: 634.700) mit bereits Ende Juli 212.440 Grenzgängern (Ende Dezember 2020 waren es erst 207.879), von denen zum Glück zur Zeit immer noch ein Teil in Telearbeit tätig ist. Es können Wetten angenommen werden, wann wir die Zahl der 500.000 Arbeitsplätze überschreiten – wenn wir zu den 487.455 von Ende Juli noch die über 10.000 bei EU und NATO Beschäftigten hinzuzählen (die offiziell nicht als inländische Arbeitsplätze gerechnet werden, da für sie nicht das hiesige Arbeitsrecht gelten soll), sind wir praktisch schon da.

Zu wenig, zu spät

Wenn wir davon ausgehen, ein kleiner Anteil von Telearbeit bleibe wohl auf Dauer erhalten aber nicht im heutigen Umfang, ist es also höchste Eisenbahn für einen großen Wurf. Sonst haben wir zwar am Ende ein paar Jahre mehr pro Kopf für die Schiene ausgegeben als die Schweiz, dennoch aber keine wirkliche Verbesserung erreicht.

Auch wenn nach den unheimlich vielen Baustellen in diesem Jahr für eine kurze Zeit baustellenbedingte Behinderungen ausbleiben dürften, kommt die Zeit unweigerlich wieder, wo Schienen und Anlagen wieder auf Vordermann zu bringen sind. Der Schienenersatzverkehr mit Bussen aber ist absolut tödlich hinsichtlich Verlängerung der Reisezeit und Abnahme der Bequemlichkeit. Getoppt wird das aktuell für alle aus dem Norden des Landes mit der Endstation Pfaffenthal/Kirchberg, sobald ihr Ziel nicht daneben liegt.

Denn dann geht es mit der Zahnradbahn zur Tram – und so dauert z.B. eine Fahrt von Fischbach (mit dem Bus bis Mersch) bis zum Hauptbahnhof Luxemburg anderthalb Stunden. Was für eine Vernichtung von Lebenszeit!

Gut, wenigstens muß dank Nulltarif dafür nicht auch noch bezahlt werden. Für junge Leute aber liegt die Schlußfolgerung auf der Hand. Sie wollen zum frühstmöglich ihren Führerschein machen, um nicht mehr auf diese Zeitvernichtungsmaschine angewiesen zu sein, denn im Herbst gehen die Baustellen bei den CFL fröhlich weiter. Die Fahrschulen werden gestürmt – wenigstens ein Wirtschaftszweig mit einem Boom.

Verheerend ist das leider für das Ziel, mehr Wege öffentlich als bisher zu erledigen. Die Jugendlichen, die sich heute regelrecht verarscht fühlen, wenn sie sich in der Ferienzeit treffen wollen, sind mit Führerschein auf lange Zeit verloren für Zug, Bus und Tram. Wobei sich alle, die heute schon über Führerschein und fahrbaren Untersatz verfügen, sowieso schon abgewendet haben, zumindest wenn sie die Parkplatzproblematik gelöst bekamen. Denn auf den Straßen ist dank Telearbeit meistens flüssiger Verkehr angesagt – außer auf der Düdelinger Autobahn. So lange die dort nicht mitbekommen, daß es keine Staus auf der Nationalstraße mit den vielen Kreisverkehren und Tempo-30-Zonen nach Thionville gibt, wird das wohl so bleiben.

Nun komme niemand aus der CFL-Direktion oder dem Hochhaus auf Kirchberg, um zu erklären, es ginge nicht anders. Denn das ändert nichts an dem Chaos, das immer mehr als Passagiervertreibungsprogramm wahrgenommen wird.