Das Ende der USA-Dominanz am Persischen Golf
China gewinnt mit Vermittlungserfolg im saudisch-iranischen Konflikt neuen Einfluß am Persischen Golf
Der Volksrepublik China ist es gelungen, Annäherungsversuche zwischen Riad und Teheran zu einem ersten Erfolg zu führen; beide wollen nun ihre diplomatischen Beziehungen wieder aufnehmen und verhandeln über eine weiterreichende Kooperation. Gelingt dies, dann stehen Bemühungen der USA, eine Art arabischer NATO gegen den Iran in Stellung zu bringen, vor dem Scheitern. Das enge Bündnis zwischen Saudi-Arabien und den USA steckt schon seit geraumer Zeit in der Krise.
Öl für Sicherheit
Saudi-Arabien galt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs stets als ein überaus enger Verbündeter der USA. Grundlage dafür waren Absprachen, die USA-Präsident Franklin D. Roosevelt und König Abdul Aziz Ibn Saud im Februar 1945 auf einem USA-Kriegsschiff im Suezkanal trafen. Im Kern sahen sie vor, daß die USA jederzeit Zugriff auf saudisches Erdöl haben und im Gegenzug die Sicherheit des saudischen Herrscherclans garantieren sollten.
Der Deal hielt viele Jahrzehnte. Er wurde brüchig, als Washington sich auf seinen großen Machtkampf gegen China zu konzentrieren begann. Ein Signal dafür war, daß USA-Präsident Barack Obama im November 2011 offiziell den »Pivot to Asia« (Schwenk nach Asien) ausrief. Das war verbunden mit dem Abzug der USA-Truppen aus dem Irak und Afghanistan sowie mit dem Versuch, den Iran-Konflikt mit dem Atomabkommen von 2015 zu beenden.
Für Riad, das traditionell ein erbitterter Rivale Teherans ist, war das ein Rückschlag. Befürchtungen, Washington – in der Asien-Pazifik-Region ausgelastet – könne Saudi-Arabien im Ernstfall im Stich lassen, bestätigten sich, als am 14. September 2019 Drohnen und Raketen aus vermutlich iranischer Fertigung in zwei saudischen Erdölanlagen einschlugen und die Erdölförderung des Landes für zwei Wochen halbierten. Die USA kamen nicht zu Hilfe. Riad war konsterniert.
Eine arabische NATO
Saudi-Arabien hat damals – gemeinsam mit anderen arabischen Golfstaaten – in zweierlei Weise reagiert. Zum einen begann es, nach Ersatz für den unzuverlässig gewordenen Schutz durch die USA suchend, eine engere Zusammenarbeit mit dem härtesten Gegner des Iran in der Region, mit Israel. Dies schloß eine geheimdienstliche und militärische Kooperation ein.
Die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain gingen in der Annäherung an Israel noch einen Schritt weiter und unterzeichneten im September 2020 die »Abraham Accords«, die eine umfassende Kooperation mit Tel Aviv initiierten. Dies geschah unter USA-Vermittlung und wurde von Washington als Erfolg im Bestreben angesehen, eine Art arabische NATO zu schaffen, die Iran militärisch eindämmen und, wenn gewünscht, auch attackieren werde.
Die Biden-Administration ist bemüht gewesen, auch Saudi-Arabien in die »Abraham Accords« einzubinden. Riad verlangte im Gegenzug allerdings verläßliche Sicherheitsgarantien und mit Blick auf Irans Nuklearbestrebungen USA-Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Atomprogramms, das explizit auch eine eigenständige Urananreicherung umfassen sollte. In Washington war im Gespräch, Riad einen kleinen Schritt entgegenzukommen und es zum »Major non-NATO ally« aufzuwerten. Verhandlungen dazu dauerten noch Anfang März an.
Eine Politik des Ausgleichs
Zum anderen hat Saudi-Arabien nach den Angriffen vom 14. September 2019 begonnen, seine Außenbeziehungen zu diversifizieren. Dabei orientierte es sich weniger auf die EU, die sich zwar seit etwa 2013 nicht zuletzt auf deutschen Druck bemühte, sich in einem weiten Staatenring um »Europa« als einflußreiche Schutzmacht zu etablieren, die damit aber nicht erfolgreich war. Riad orientierte vielmehr auf eine enge Zusammenarbeit mit China. Das zeigte sich unter anderem daran, daß es bei seinem »Megacity-Projekt Neom« intensiv mit der Volksrepublik zu kooperieren begann und beim Aufbau seiner 5G-Netze auf Technologie von Huawei setzt; Washington ist es nicht gelungen, dies zu verhindern.
Parallel setzen auch die Vereinigten Arabischen Emirate auf eine umfassende Zusammenarbeit mit China. Zugleich streckte Saudi-Arabien erste Fühler in Richtung Iran aus, um etwaige Chancen für einen Ausgleich zu erkunden. So wird seit Jahren von saudisch-iranischen Gesprächen berichtet, die etwa unter der Vermittlung des Irak in Bagdad stattfanden. Als am 3. Januar 2020 der iranische General Qassem Soleimani am Flughafen in Bagdad mit einer US-amerikanischen Drohne ermordet wurde, war zu hören, er sei auch zu indirekten Verhandlungen mit Riad angereist. Auch in der Kooperation mit dem Iran preschten die Vereinigten Arabischen Emirate vor und nahmen im August 2022 den Botschaftsbetrieb in Teheran wieder auf.
Ordnungsmacht China
China ist es nun gelungen, die Annäherung zwischen Riad und Teheran weiterzuführen und sie so solide abzusichern, daß beide Seiten am 10. März in Peking ankündigen konnten, ihre 2016 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufzunehmen. Die Voraussetzung dafür war offenkundig, daß China umfassende Wirtschaftsbeziehungen sowohl zu Saudi-Arabien als auch zum Iran unterhält. »Als Großmacht« habe die Volksrepublik es vermocht, »beiden Seiten Sicherheiten zu bieten« und so die noch bestehenden Widerstände zu überwinden, konstatiert die International Crisis Group.
Weitere Verhandlungen haben begonnen und sollen konkrete Ergebnisse produzieren. Im Gespräch ist nicht zuletzt eine weitreichende Aufnahme der Wirtschaftskooperation zwischen beiden Ländern. Beobachter weisen darauf hin, daß die weitere Annäherung zwischen Saudi-Arabien und dem Iran keinesfalls ein Selbstläufer ist, viele Hindernisse überwinden muß und jederzeit scheitern kann. Sie ist für die Volksrepublik nun allerdings auch zur Probe aufs Exempel für die Frage geworden, ob es ihr gelingt, die Neuordnung einer Spannungsregion aus eigener Kraft nicht nur einzuleiten, sondern sie auch zu einem erfolgreichen Abschluß zu begleiten. Damit hat sie ihr Potential, als globale Ordnungsmacht aufzutreten, offen zur Diskussion gestellt.
Im Windschatten der USA
Die Entwicklung hat weitreichende Folgen auch für die EU. Solange sich Riad und Abu Dhabi klar in Richtung Westen orientierten, waren etwa Erdöl und Erdgas aus den arabischen Golfstaaten stets verfügbar. Auch konnten Konzerne der EU-Staaten immer wieder auf höchst lukrative Geschäfte am Persischen Golf hoffen. Aktuell ist die deutsche Industrie zum Beispiel an Aufträgen in der entstehenden »Megacity Neom« interessiert, in die Saudi-Arabien eine dreistellige Milliarden-US-Dollar-Summe stecken will.
Die deutsche Bundesregierung hat Saudi-Arabien eine wichtige Rolle bei der künftigen Versorgung Deutschlands mit grünem Wasserstoff zugedacht. Ob die deutsche Wirtschaft für Riad auch in Zukunft einen zentralen Stellenwert einnimmt, wenn sich die außenpolitischen Prioritäten der arabischen Golfstaaten verändern, ist nicht ausgemacht. Im Herbst fiel auf, daß die Bundesregierung mit dem Versuch, große Mengen Erdgas in den Vereinigten Arabischen Emiraten zu bestellen, nicht erfolgreich war. Ob dies nur sachliche oder weiterreichende außenpolitische Ursachen hat, ist nicht klar.
Eskalationsgefahr
Experten weisen darauf hin, daß das Gelingen oder Scheitern der saudisch-iranischen Annäherung nicht nur von den beiden Staaten selbst abhängt. So stellt Guido Steinberg, ein Mittelost-Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), fest, der Deal könne etwa hinfällig werden, »wenn die israelische Regierung sich entscheiden sollte, ... mit Militärschlägen gegen die iranischen Atomanlagen vorzugehen« – bei einer Gewalteskalation werde »der Schutz durch die USA« für Riad »wichtiger sein als die neue Freundschaft zum Iran.
Andererseits warnen Spezialisten in Washington, israelische Luftangriffe seien nun mit neuen Schwierigkeiten konfrontiert. Israelische Kampfjets müßten für ihre Angriffe den saudischen Luftraum durchfliegen; ob Saudi-Arabien aber die Genehmigung dazu erteile, sei nach dem Abschluß der Vereinbarung mit dem Iran ungewiß.