Luxemburg31. Oktober 2023

ArcelorMittal-Tochter in Kasachstan verstaatlicht

Präsident Tokajew nennt Stahlkonzern nach erneutem Grubenunglück mit mindestens 45 Toten »das schlimmste Unternehmen in der Geschichte Kasachstans«

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Außenminister Jean Asselborn hätte sich seine Reise nach Kasachstan von Ende Juni sparen können. Nur Stunden nach einem erneuten schweren Unglück mit mindestens 45 Toten in einer von ArcelorMittal betriebenen Kohlemine im Gebiet Karaganda sah sich der offiziell in Luxemburg ansässige zweitgrößte Stahlkonzern der Welt am Samstag gezwungen, zusammen mit der Regierung der rohstoffreichen Ex-Sowjetrepublik ein vorläufiges Abkommen zur Verstaatlichung der ArcelorMittal-Tochter in dem zentralasiatischen Land zu unterschreiben. Für ArcelorMittal bedeutet das den Verlust seines Geschäfts in dem Land, das mit seinen enormen Vorkommen an Eisenerz, Kohle, Erdöl und Erdgas sowie Mangan, Chrom und nicht zuletzt Uran auch ein wichtiger Handelspartner der EU ist.

Zuvor hatte der sofort zum Ort der Katastrophe im östlichen Zentrum des Landes geeilte Staatspräsident Kassym-Schomart Tokajew den Stahlriesen vor Angehörigen der bei einer Methangasexplosion am Samstagmorgen im Kohleschacht Kostenko getöteten Bergarbeiter »das schlimmste Unternehmen in der Geschichte Kasachstans, was die Zusammenarbeit mit der Regierung angeht« genannt. Für Sonntag hatte der Präsident einen landesweiten Trauertag ausgerufen. Er stellte den Betrieb unter staatliche Verwaltung und setzte einen neuen Unternehmensleiter ein.

Tokajews Vorwürfe kommen nicht von ungefähr: Wegen schwere Versäumnisse bei den Sicherheitsvorkehrungen ist es in ArcelorMittals Minen in Kasachstan immer wieder zu tödlichen Arbeitsunfällen gekommen. Kasachischen Medien zufolge habe es in den vergangenen rund 15 Jahren mehr als zwei Dutzend Unglücke in ArcelorMittals Gruben in dem im Norden an Rußland und im Osten an China grenzenden Land gegeben. Dabei starben mehr als 100 Arbeiter, zwölf allein im vergangenen Jahr.

Noch am Unglückstag hieß es, insgesamt sei der Betrieb in acht Kohlegruben des Stahlriesen im Land zeitweilig eingestellt, insbesondere, um die Vorrichtungen zum Schutz vor dem hochexplosiven Grubengas Methan zu überprüfen. Die kasachischen Behörden werfen der Tochtergesellschaft von ArcelorMittal regelmäßig vor, Sicherheits- und Umweltstandards nicht einzuhalten. In diesem Jahr haben die Behörden bereits fast 1.000 Verstöße gegen die Vorschriften zur industriellen Sicherheit in den Minen des Konzerns gezählt.

Mit zuletzt deutlichem Abstand hinter der China Baowu Group ist ArcelorMittal derzeit der zweitgrößte Stahlkonzern der Welt. Er sitzt offiziell in Luxemburg – wird aber von London aus gelenkt. Größter Anteilseigner des zum AEX (Amsterdam Exchange Index) gehörenden Unternehmens sind die Familie des britisch-indischen Stahlbarons Lakshmi Mittal und – mit deutlichem Abstand – der Luxemburger Staat. Schon im vergangenen Jahr hatte die kasachische Regierung nach einem tödlichen Unfall in einem Bergwerk damit gedroht, ArcelorMittal die Zulassung im Land zu entziehen.

An den Börsen kam die Nachricht von der Verstaatlichung der kasachischen Minen am Montag nicht gut an. Die Aktien von ArcelorMittal fielen um rund fünf Prozent. Experten wiesen darauf hin, es sei unklar, ob Kasachstan ArcelorMittal für seine Vermögenswerte zu bezahlen gedenke. Dazu gehören neben Kohle- und Eisenerzminen auch zwei Stahlwerke, die im vergangenen Jahr etwa fünf Prozent der Stahlproduktion des Konzerns ausmachten.