Nichts dazugelernt
Impfen ist eigentlich eine ziemlich einfache Sache. Einen kurzen Piks über sich ergehen lassen, dann mit einer leicht geröteten Einstichstelle ein paar Tage klarkommen – und schon ist der oder die Geimpfte in der Regel gegen eine Krankheit immun, die weit dramatischere Folgen haben kann als der Pikser.
Schon vor drei Jahrtausenden haben chinesische und indische Ärzte, denen aufgefallen war, daß Menschen, die Pest oder Pocken überlebt hatten, vor einer erneuten Ansteckung geschützt waren, Versuche unternommen, diese Immunität gezielt hervorzurufen.
Im Osmanischen Reich waren Pockenimpfungen schon Anfang des 18. Jahrhunderts verbreitet, gegen Ende wurde die Methode auch in Westeuropa angewandt. 1796 erkannte der englische Landarzt Edward Jenner, daß mit einer für Hausrinder, aber nicht für Menschen gefährlichen Pockenvariante Infizierte auch gegen andere Pockenarten immun waren – und erfand die Kuhpockenimpfung. Bis heute verwenden wir deshalb Vakzin (von lateinisch vaccinus »von Kühen stammend«) als Ausdruck für Impfstoff.
Ein weiterer Meilenstein wurde in der Sowjetunion erreicht, die unter Lenins Führung als erstes Land ein zentralisiertes, vollständig von der öffentlichen Hand getragenes Gesundheitssystem realisierte, das nach dem Zweiten Weltkrieg von der britischen Regierung mit dem Nationalen Gesundheitsdienst NHS in großen Teilen übernommen wurde. Dabei waren nicht zuletzt die sowjetischen Erfolge bei der Bekämpfung der Erreger von Pocken, Tuberkulose oder Cholera ausschlaggebend.
Auch die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen Krankheiten wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit Gründung der Weltgesundheitsorganisation 1948 institutionalisiert. Durch eine der WHO 1958 von der Sowjetunion vorgeschlagene konsequente Impf- und Eindämmungsstrategie wurde erreicht, daß die Welt am 8. Mai 1980 für pockenfrei und am 25. August vergangenen Jahres auch für poliofrei erklärt werden konnte. Noch in den 60er Jahren kosteten die Pocken Jahr für Jahr zwei Millionen Menschen das Leben und zehntausende Kinder starben an der durch das Poliovirus ausgelösten Kinderlähmung oder litten dauerhaft an ihren körperlichen Folgeschäden.
Doch trotz der unbestreitbaren Erfolge gibt es bis heute Impfgegner und die Coronaviruspandemie hat diesen Wissenschafts- und Fortschrittsfeinden leider weiteren Zulauf beschert. Zwar stimmt es, daß beim Impfen mitunter schwere Nebenwirkungen auftreten, doch ist deren Wahrscheinlichkeit sehr gering. So treten bei Masernimpfungen nur bei zwei von 100.000 Geimpften schwere Nebenwirkungen auf, während 100 von 100.000 an Masern Erkrankte sterben.
Auch die DDR stützte sich beim Aufbau ihres Gesundheitssystems auf die in der Sowjetunion gemachten Erfahrungen. Seit den 50er Jahren gab es eine gesetzliche Impfpflicht, die immer umfassender wurde: gegen Pocken, Kinderlähmung, Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Tuberkulose, ab den 70er Jahren auch gegen Masern. Empfohlen wurde wie heute eine Grippeimpfung. Bis zum 18. Lebensjahr erhielt man in der DDR fast 20 Schutzimpfungen.
Die Erfolge waren enorm, die Infektionszahlen sanken rapide. Als 1960 die Kinderlähmung in der BRD wütete, war die DDR-Bevölkerung bereits seit zwei Jahren immunisiert. Walter Ulbricht bot der BRD damals drei Millionen Impfdosen an – als humanitäre Geste für das von Polio heimgesuchte Ruhrgebiet, das bereits 42 Todesfälle verzeichnete. Doch BRD-Kanzler Adenauer lehnte ab. Der Impfstoff aus der DDR sei »zu unsicher«.
Heute erklärt die EU-Arzneimittelagentur EMA, impfen mit dem russischen Vakzin »Sputnik V« sei »russisches Roulette«. Die törichten Impfgegner dürften sich über diese Aussage im österreichischen Fernsehen gefreut haben.