Netanjahus Ziel ist »Groß-Israel«
Landesweiter Streik legt Israel zu Wochenbeginn lahm
Mit einem landesweiten Streik haben die Angehörigen der israelischen Gefangenen im Gazastreifen am Sonntag deren Freilassung gefordert. Premier Benjamin Netanjahu forderten sie auf, den Krieg in Gaza zu beenden und die jüngsten Besatzungspläne für den palästinensischen Küstenstreifen zurückzunehmen. Die Angriffe der israelischen Armee gingen derweil weiter. Schwerer Artilleriebeschuß wurde aus dem Viertel Al Sabra in Gaza-Stadt und aus Wohngebieten in Rafah und Chan Yunis im Süden des Gazastreifens gemeldet. Nach Angaben der palästinensischen Gesundheitsbehörde in Gaza stieg die Zahl der von Israel getöteten Palästinenser seit Oktober 2023 auf 61.944, die Zahl der Verletzten wird mit 155.866 angegeben.
Die Familien der im Gazastreifen noch festgehaltenen Israelis wurden bei dem landesweiten Streik am Sonntag nach eigenen Angaben von mehr als einer Million Menschen unterstützt. Sie legten Straßen und Eisenbahnlinien lahm und besetzten die vielbefahrene Küstenautobahn. Eine Mutter, deren Sohn noch zu den lebenden Gefangenen im Gazastreifen gehört, erklärte, man werde das Land »zum Stillstand bringen«. Der Gewerkschaftsverband Histadrut schloß sich dem Aufruf nicht an.
Die überwiegende Mehrheit der rund 250 Israels, die am 7. Oktober 2023 von palästinensischen Kämpfern gefangengenommen und in den Gazastreifen gebracht worden waren, um gegen palästinensische Gefangene ausgetauscht zu werden, waren in zuvor ausgehandelten Waffenruhen freigekommen. Allein während der ersten Waffenruhe im November 2023 kamen mehr als hundert israelische Gefangene frei.
In den kommenden zwei Wochen sollen aus Gaza-Stadt und den benachbarten Flüchtlingslagern weitere Palästinenser in den Süden des Küstenstreifens »evakuiert« werden. Dann soll nach israelischen Regierungsangaben die Einnahme der Stadt Gaza durch das israelische Militär beginnen. Der arabischsprechende Armeesprecher Avichay Adraee erklärte, daß zunächst alle Einwohner aus neun Wohnanlagen im Stadtviertel Zeitoun ihre Wohnungen zu verlassen hätten und sich in Richtung des Gebietes Al Mawasi (bei Chan Yunis) entfernen müßten. Die israelische Armee werde von Osten her kommend vorrücken und die bisherigen Bombardierungen »intensivieren«.
Al Mawasi gilt als »sichere Zone«, wird aber seit mehr als einem Jahr immer wieder von der israelischen Armee angegriffen, angeblich um »Kommandoeinrichtungen« oder »Kämpfer der Hamas« zu eliminieren. Hunderte Zivilisten, die in den Ruinen der von Israel zerstörter UNRWA-Schulen, in Zelten oder Unterkünften aus Brettern und Plastikplanen Zuflucht gesucht hatten, wurden getötet. Das Gebiet ist mit zehntausenden inlandsvertriebenen Palästinensern komplett überfüllt und kann den Menschen keine ausreichende Versorgung mit Strom, Wasser oder medizinischer Behandlung bieten. Aufgrund der anhaltenden Blockade von Nahrungsmitteln, Medikamenten oder anderen dringend gebrauchten Lebensmitteln – beispielsweise Trinkwasseraufbereitungsanlagen, Zelte, Treibstoff, um Generatoren zu betreiben – ist die Zahl der Hungertoten auf mehr als 150 gestiegen.
Die Suche nach Nahrungsmitteln oder einem sicheren Aufenthaltsort ist jenseits der Gefahr durch israelisches Bombardement lebensgefährlich geworden. Ende Juli meldete das UNO-Menschenrechtsbüro, 1.054 Menschen seien getötet worden, die versucht hatten, Nahrungsmittel zu finden. 766 von diesen seien im Bereich der Humanitären Gaza-Stiftung (GHF) getötet worden, 288 wurden in der Nähe von Konvois mit Hilfsgütern der UNO oder anderer Hilfsorganisationen von israelischen Soldaten erschossen. Die Zahl steigt täglich, allein am Sonntag wurden mindestens 37 Menschen getötet, die auf der Suche nach Hilfsgütern waren.
In einer gemeinsamen Erklärung arabischer und islamischer Staaten werden Äußerungen des israelischen Premiers, er verfolge die Vision eines »Groß-Israel« mit scharfen Worten zurückgewiesen. Die Aussagen Netanjahus in einem Interview mit dem israelischen Nachrichtensender Israel24 am vergangenen Dienstag seien eine »direkte Bedrohung des Friedens in der Region und der Sicherheit arabischer Staaten«, heißt es in der Stellungnahme, die von der Arabischen Liga und vom Golfkooperationstag sowie von 31 islamischen und arabischen Staaten unterzeichnet wurde.
Netanjahu hatte auf die Frage, ob er »die Vision von Groß-Israel« unterstütze, gesagt: »absolut«. Und auf die Frage, ob er sich dieser Vision verbunden fühle, erklärte Netanjahu: »sehr stark«. Der Plan, ein »Groß-Israel« zu errichten, folgt einer expansionistischen Strategie, wonach Ägypten, Palästina (Westjordanland, Gaza), Teile des Libanon (mindestens bis zum Fluß Litani), Syriens und Jordaniens von Israel besetzt, besiedelt und kontrolliert werden soll.