Ein Überheblichkeitsgefühl westlicher Allmacht
Über die Forderung nach einer Flugverbotszone über der Ukraine
Sie ist immer noch nicht vom Tisch: die Forderung, die NATO solle eine Flugverbotszone über der Ukraine errichten. Es klingt ja auch so simpel: Man muß doch bloß russische Flüge über ukrainischem Territorium verbieten, und schon hören die Luftangriffe auf die dortigen Städte auf; der Zivilbevölkerung ist geholfen, und der Krieg wird zu einem schnelleren Ende kommen. So oder ähnlich lauten Illusionen, die seit Wochen verbreitet werden.
Erfahrung mit Flugverbotszonen gibt es seit Anfang der 1990er Jahre. In der Ära des Kalten Krieges griff niemand auf sie zurück – aus gutem Grund: Die Eskalationsgefahr galt als viel zu hoch. Man stelle sich nur vor, in einem der damaligen Stellvertreterkonflikte hätte eine Seite, etwa die NATO, versucht, ihre Parteigänger durch das Abschießen feindlicher Flugzeuge zu schützen: Das Risiko, damit einen Weltkrieg gegen die Warschauer Vertragsorganisation auszulösen, mit dem Potential eines nuklearen Infernos, lag klar auf der Hand. Niemand war bereit, es einzugehen.
Der Zusammenbruch der sozialistischen Staaten und die Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation änderte die Lage. In der unipolaren Ära ab 1991 griff der Westen, der die Gegenwehr einer Weltmacht nicht mehr fürchten mußte, dreimal auf das Mittel der Flugverbotszone zurück.
Den Präzedenzfall bildeten 1992 die Flugverbotszonen, die die USA, Britannien und zunächst auch Frankreich erst über dem Norden, dann auch über dem Süden des Irak verhängten – unter dem Vorwand, die dortige Zivilbevölkerung, im Norden die Kurden, im Süden die Schiiten, vor Angriffen der irakischen Streitkräfte schützen zu wollen. Faktisch ging es darum, die Regierung unter Präsident Saddam Hussein unterhalb der Schwelle eines erklärten Krieges zu bekämpfen. Die UNO-Resolution 688, die den Schutz der irakischen Zivilbevölkerung forderte und von Washington zur Legitimation herangezogen wurde, sah keine Flugverbotszone vor; ihre Durchsetzung war illegal, aber sie war bei den damaligen Kräfteverhältnissen eben machbar.
Die zweite Flugverbotszone wurde 1992 über Bosnien und Herzegowina verhängt. Sie zielte darauf ab, die serbische Seite zu schwächen. Diesmal gelang es, sie offiziell von der UNO legitimieren zu lassen, einschließlich der 1993 mit der UNO-Resolution 816 zugelassenen Option, serbische Militärjets abschießen zu dürfen. Rußland, damals um eine enge Zusammenarbeit mit dem Westen bemüht, stellte sich nicht in den Weg, China war noch nicht stark genug, um die Maßnahme im UNO-Sicherheitsrat zu blockieren.
Auch 2011, als der UNO-Sicherheitsrat eine Flugverbotszone über Libyen beschloß, um die Aufstände gegen Muammar Al-Ghaddafi zu schützen, mieden Moskau und Peking noch die offene Konfrontation mit dem Westen und ebneten der UN=-Resolution 1973 durch ihre Enthaltung den Weg. Die NATO mißbrauchte die Resolution schließlich, um völkerrechtswidrig Ghaddafis Sturz herbeizubomben.
Und die Ukraine? Rein rechtlich könnte deren Regierung vielleicht eine Flugverbotszone verhängen. Durchsetzen müßte sie die NATO. Das bedeutete, wie ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg am 23. März erläuterte, zunächst die russische Luftabwehr auszuschalten, also ihrerseits Angriffe gegen russisches Territorium durchführen, und anschließend russische Kampfjets im ukrainischen Luftraum abzuschießen. Damit träte die NATO in einen Weltkrieg gegen Rußland inklusive nuklearer Eskalationsgefahr ein.
Eine Flugverbotszone verbietet sich heute also wieder – ganz wie im ersten Kalten Krieg. Das Problem ist bloß: In den Köpfen hat sich in den vergangenen 30 Jahren ein Überheblichkeitsgefühl westlicher Allmacht festgesetzt. Daher der irrsinnige Gedanke, man könne es mit einer Flugverbotszone über der Ukraine doch einmal versuchen. Daß so mancher Liberale mit dieser Forderung selbst hartgesottene NATO-Militärs rechts überholt, verdeutlicht nur den Ernst der Lage.