Ausland15. Juni 2010

Neue Putschgerüchte

Streit um Macht und Geld in Honduras / Wachsende Widersprüche in regierenden Kreisen

Kurz vor dem ersten Jahrestag des Staatsstreichs gegen den demokratisch gewählten Präsidenten von Honduras, Manuel Zelaya, sieht sich dessen international von den meisten Regierungen nicht anerkannter Nachfolger Porfirio Lobo selbst von einem Putsch bedroht. Nach einer Kabinettssitzung in Gauimaca, etwa 70 Kilometer östlich der Hauptstadt Tegucigalpa, erklärte er in der vergangenen Woche, man habe eine Gruppe von Verschwörern identifiziert, die »den Präsidenten der Republik wegwischen« wollten.

»Wir wissen, wer sie sind, und ich glaube, sie haben sich in meinem Lächeln getäuscht«, drohte Lobo, ohne die mutmaßlichen Verschwörer beim Namen zu nennen. Schon zuvor war bekanntgeworden, daß der 62-jährige Politiker Mitteilungen auf seinem Mobiltelefon erhalten habe, er solle sich schon mal »einen hübschen Pyjama« heraussuchen – eine klare Anspielung auf den Putsch vom 28. Juni vergangenen Jahres, als vermummte Militärs die Residenz des Präsidenten stürmten und Zelaya noch im Schlafanzug in ein Flugzeug setzten, das ihn nach Costa Rica brachte.

Lobo war zwar offenbar nicht führend an dem Staatsstreich beteiligt, profitierte aber von ihm, als er am 29. November als Sieger aus den unter der Kontrolle des Putschregimes und ohne ausländische Beobachter durchgeführten Präsidentschaftswahlen hervorging. Ende Januar trat er sein Amt an und versucht seither, eine Aufhebung der nach dem Putsch gegen Honduras verhängten Sanktionen zu erreichen. Dazu zeigte er sich wiederholt versöhnlich gegenüber dem gestürzten Präsidenten. Diesem hatte er unmittelbar nach seiner Vereidigung freies Geleit gewährt, so daß dieser seinen Zufluchtsort für Monate, die brasilianische Botschaft in Tegucigalpa, verlassen und in die Dominikanische Republik ausreisen konnte.

Auch für eine Rückkehr Zelayas nach Honduras zeigte sich Lobo wiederholt offen, allerdings kündigten Sprecher von Staatsanwaltschaft und Gerichten zugleich an, Zelaya bei seiner Ankunft verhaften zu wollen. Die Strategie derjenigen, die heute das Land führten, »ist es, den Putsch zu vergessen und ihre Verbrechen gegen das Volk straffrei zu lassen«, erklärte Zelaya in der vergangenen Woche. Er veröffentlichte die Mitteilung »im Namen der Regierung der Bürgermacht« in seinem dominikanischen Exil. Sowohl die Widerstandsbewegung in Honduras als auch zahlreiche Regierungen Lateinamerikas sehen Zelaya nach wie vor als legitimen Präsidenten seines Landes.

Hintergrund der jüngsten Putschgerüchte ist offenbar ein Streit um die Verteilung der Beute. Nachdem sich Lobo am Freitag darüber beschwert hatte, daß die Staatsanwaltschaft auf seine Informationen über die Putschvorbereitungen nicht geantwortet habe, reagierten zwei hochrangige Vertreter dieser Behörde ihrerseits mit Drohungen. Laut der in San Pedro Sula erscheinenden Tageszeitung »Tiempo« tauchten die beiden Staatsanwälte unangemeldet im Regierungspalast auf und forderten dort von Lobo, seinem Parteikollegen Elías Asfura den staatlichen Fernsehsender Canal8 zu übertragen. Asfura, der Mitglied der Führung in Lobos Nationaler Partei (PNH) und Besitzer des Medienkonzerns Teleunsa ist, gilt als einer der wichtigsten Finanziers des Putsches gegen Zelaya. Im August 2009 hatte das Putschregime angekündigt, ihm den staatlichen Fernsehkanal zu übereignen, der erst im August 2008 unter Zelaya in Betrieb genommen worden war, um das Monopol der kommerziellen Privatsender zu durchbrechen.

Unterdessen hat die USA-Regierung zwei von Lobo benannten Konsuln die Anerkennung verweigert, weil sie in den Putsch gegen Zelaya verwickelt waren. Wie »Tiempo« meldete, dürfen Cecilia Callejas, die das Konsulat in Atlanta leiten sollte, sowie Vivian Panting, die als Vertreterin in Los Angeles vorgesehen war, ihre Ämter nicht antreten, weil sie unter dem von den Putschisten eingesetzten De-facto-Staatschef Roberto Micheletti Funktionen ausgeübt hatten. Dies erklärte auch Lobos Außenminister Mario Canahuati gegenüber einem Rundfunksender in Tegucigalpa.

André Scheer