Rechte Front gegen Sozialsystem
Deutschlands Konservative hetzen mit AfD gegen Bürgergeldempfänger, SPD macht mit
Am 11. August fragte die Deutsche Presse-Agentur (dpa) scheinbar neutral »Verhätschelt das Bürgergeld die Ukrainer?« und weiter: »Zu hohe Sozialleistungen, zu wenig Anreiz zum Arbeiten: CDU und CSU kritisieren die Versorgung ukrainischer Kriegsflüchtlinge mit Bürgergeld.« Das ist mindestens unvollständig. Bevor Markus Söder am 3. August einen Zahlungsstopp für alle ukrainischen Bürgergeldempfänger in Deutschland verlangte, hatte Alice Weidel am 20. Juli behauptet: »Die Hälfte der Bürgergeldempfänger sind Ausländer. Die haben nie in dieses Sozialsystem eingezahlt. Und die andere Hälfte hat zu drei Viertel einen Doppelpaß.« Die Sozialleistungen für Ausländer müßten gestrichen werden. Die Aussagen sind falsch oder unvollständig. Sie werden aber gegenwärtig selbst in der SPD wiederholt. Von AfD und CDU/CSU sowie in rechten Klein- und Großmedien bereits seit der Einführung des Bürgergeldes am 1. Januar 2023.
Beispiel: Am 10. August hieß es im Blog »Tichys Einblick«, der seit Monaten gegen Sozialhilfeempfänger generell und speziell gegen die aus Migrantenfamilien hetzt, »daß bis zu 80 Prozent der Empfänger des Bürgergeldes keine Staatsbürger oder frisch eingebürgert sind.« Die Spaltung der Arbeiterklasse durch »vertikalen« (»Arbeiter sind faul«) und »horizontalen« (»Arbeiter anderer Nationalität sind fauler«) Rassismus, wie es Domenico Losurdo nannte, ist im industriellen Kapitalismus bei den Anhängern extremer Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft eine Konstante.
Vor den Karren der Kampagne gegen das Bürgergeld, das Hartz IV im Kern unangetastet ließ, spannte sich von Anfang an auch das Zentralorgan der deutschen Großbourgeoisie, die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ). Ihr Verbund mit den rechten Klein- und Kleinstmedien der BRD funktioniert dabei ähnlich synchron wie bei der Jagd auf die SPD-Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf. Das Blatt erweiterte erst am 11. August wieder einmal die Kampfzone und meldete, gestützt auf eine Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): »Mindestlöhne erhöhen nicht nur das Risiko eines Jobverlusts für direkt betroffene Arbeitnehmer. Zugleich zahlen Beschäftigte der oberen Gehaltsklassen mit Lohneinbußen dafür.«
Noch geht es bei so etwas um Nadelstiche, aber große Teile der konservativen Fraktion im deutschen Bundestag richten sich bereits nach den medial und von der AfD gelieferten Vorgaben. Es zeichnet sich eine reaktionäre Front ab, die sich bei der Verhinderung der Wahl von Brosius-Gersdorf bereits bewährt hat. Beim Bürgergeld reihen sich offenbar auch Teile der SPD ein. Kurz vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen ist die Partei von Panik erfaßt. Da mehren sich in ihr Stimmen, die »Bürgergeld nur für Deutsche« kräftig mitsingen. So ließ sich der einen sauerländischen Wahlkreis vertretende Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion Dirk Wiese am 4. August vom Redaktionsnetzwerk Deutschland zitieren: »Wer das System ausnutzt, dem muß mit klaren Sanktionen begegnet werden (…) Bandenmäßiger Betrug oder Schwarzarbeit – wie etwa im Ruhrgebiet – dürfen nicht toleriert werden.« Am 7. August ergänzte die SPD-Kovorsitzende und deutsche Sozialministerin Bärbel Bas beim Besuch in Gelsenkirchen, es gebe dort beim Bürgergeldbezug »mafiöse Strukturen«, die zerschlagen werden müßten. Die AfD freut sich über derartige Wahlhilfe.
Die Berliner Regierungskoalition ist sich jedenfalls einig, aus dem Bürgergeldetat einige Milliarden Euro herauszuquetschen, um Rüstung und »Aufschwung« zu finanzieren. Das Sommertheater um diese deutsche Form der Sicherung des Existenzminimums (!) dient aber vor allem der Vorbereitung eines Generalangriffs auf staatliche Sozialleistungen. Carsten Linnemann, der Generalsekretär der CDU, kündigte den wiederholt an, zum Beispiel schon am 21. Juli im »Tagesspiegel«: »Das wird ein Herbst der Reformen.« Wer aufrüsten will, muß den Staat reaktionär umbauen.