Ein Brief aus Gaza
Als Betroffener vor Ort möchte ich festhalten: Tatsächlich hungern immer noch viele Menschen im Norden des Gazastreifens, obwohl sich die Lage etwas entspannt hat, weil nach erheblichem Druck auf die israelische Regierung durch USA und Europa mehr Hilfsgüter durchgelassen wurden. Genug Hilfsgüter sind es bei weitem nicht. (…) Das ist zwar eine deutliche Verbesserung, aber den meisten Menschen fehlt es an Geld. Wo soll es herkommen? Die Banken sind seit Oktober im letzten Jahr geschlossen. Die Verwaltung funktioniert nur notdürftig - wenn überhaupt. Es gibt kaum Handel und kaum bezahlte Arbeit. Sanitäter, Ärzte, Journalisten und so viele andere können für ihre Arbeit gar nicht oder nur sehr gering bezahlt werden.
Es wird oft vergessen, daß es in Gaza eine Verwaltung mit Behörden usw. gab. Sicher nicht perfekt, aber es gab das alles. Es gab ein Abwassersystem und die Müllabfuhr. Es gab ein Gesundheitssystem mit Arztpraxen und vor allem gab es Krankenhäuser. 32 Krankenhäuser und 53 Gesundheitseinrichtungen wurden seit Oktober zerstört. Nahezu 80.000 Verletzte können gegenwärtig kaum oder gar nicht behandelt werden. Es fehlen Medikamente, sogar für die allernötigsten für chronische Krankheiten wie Bluthochdruck oder schwere Erkrankungen wie Krebs. In der furchtbaren Lebenssituation verbreiten sich ansteckende Krankheiten, die nicht behandelt werden können.
Es gab ein Bildungssystem, das international geschätzt wurde. Jetzt gibt es fast kein einziges Schulgebäude und keine Universität mehr. Seit Oktober gibt es keinen Unterricht. Was das für die Zukunft einer Gesellschaft bedeutet, kann man sich kaum ausmalen.
Das gesamte Wirtschaftssystem, das es in Gaza gab, ist zu 100% zerstört. Familienunternehmen, Handel oder Landwirtschaft gibt es nicht mehr. Kleine und größere Produktionsstätten sind dem Erdboden gleichgemacht worden. Ja, der Nachbar (gemeint ist Israel, kl) hat es geschafft, uns die gesamte Lebensgrundlage zu nehmen. Und wenn Bilder von Menschen, die versuchen sich im total verschmutzen Meerwasser abzukühlen oder zu waschen, zeigen sollen, wie gut es uns angeblich in Gaza geht, dann weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll.
Alle Menschen, die versuchen in Zelten zu überleben, haben weder menschenwürdige hygienische Bedingungen, noch sauberes oder gar fließendes Wasser. Ihre notdürftig aufgebauten Zelten stehen nicht für eine Campingtour, nicht für Urlaub und Freizeit, (….) sondern für den Verlust eines menschenwürdigen Lebens, für die absichtliche Zerstörung einer ganzen Gesellschaft.
Nur ein sofortiger dauerhafter Waffenstillstand kann das Leid der Menschen in Gaza, kann das Leid der Palästinenser beenden und kann die so oft betonte Zwei-Staaten-Lösung Wirklichkeit werden lassen. Das Töten und die Zerstörung müssen ein Ende haben!
Zum Schluß: Warum können und dürfen ausländische Journalisten und UNO-Beamte und andere Interessierte nicht in den Gazastreifen einreisen, um sich selbst ein unabhängiges Bild zu machen? Gibt es etwas zu verbergen? Darf die Weltgemeinschaft sich nicht selbst ein Urteil bilden? Wovor hat Israel Angst?
Gaza, 20.04.2024