Leitartikel24. November 2021

Recht und Unrecht

von

Wenn die gut betuchten Beamten der Europäischen Kommission weniger Zeit dafür verschwenden würden, sich immer neue Sanktionen gegen angebliche oder auch tatsächliche Fluchthelfer und haarsträubende Begründungen für »Strafmaßnahmen« auszudenken, sondern endlich begännen, über die eigentlichen Fluchtursachen und deren Beseitigung nachzudenken, würde unsere Welt ein wenig wohnlicher und die Nachrichten nach und nach bekömmlicher.

Seit Wochen schon hält sich die Lüge, daß der belarussische Präsident Lukaschenko massenweise »Migranten« in sein Land transportieren, sie an die Grenzen der benachbarten EU-Staaten bringen läßt, um damit Druck auf die Europäische Union auszuüben. Hat eigentlich schon einmal jemand öffentlich die Frage gestellt, welches Ergebnis er mit diesem angeblichen »Druck« erreichen will?

Es kann nicht oft genug wiederholt werden, daß weder Herr Lukaschenko und erst recht nicht Herr Putin in Moskau für dieses Flüchtlingselend verantwortlich sind. Ursache und Wirkung stellen sich in Wirklichkeit ganz anders dar. Nachdem die EU seit Jahren daran herumwerkelt, den verhaßten Präsidenten in Minsk aus dem Regierungsamt zu vertreiben, indem immer neue »Oppositionsführer« auserkoren und teuer finanziert werden, ist es noch immer nicht gelungen, dieses Ziel zu erreichen. Stattdessen wurde politisch entschieden, die Wahlen in Belarus seien nicht fair abgelaufen, es wurden Märchen über massive Wahlfälschungen in die Welt gesetzt, und schließlich in Brüssel und den umliegenden Hauptstädten beschlossen, der gewählte Präsident sei nicht als gewählter Präsident anzuerkennen. Fakten spielen dabei keine Rolle. Es ist eben so, weil »Wir«, die EU, das so sagen.

Nun muß man Herrn Lukaschenko nicht mögen, man muß auch nicht mit seinem Politikstil einverstanden sein, aber dennoch ist es verständlich, wenn er als Reaktion auf Sanktionen gegen sein Land mit der faktischen Aufkündigung eines Pakts mit der EU reagiert, laut dem er in Belarus ankommende Flüchtlinge von einer Weiterreise in Richtung EU abhalten sollte.

Im Ergebnis stauten sich um die 4.000 Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen in Belarus – aus Regionen übrigens, die in Kriege verwickelt und in Krisen gestürzt wurden und werden, an denen die EU, neben USA, NATO und den »üblichen Verdächtigen« den größten Teil der Schuld tragen. Warum soll die belarussische Regierung diese Leute aufhalten?

Als die Flüchtlinge nun in großen Gruppen an den Grenzen auftauchten, sprach man in Brüssel und Warschau unisono von »hybridem Krieg« und Migranten, die »als Waffe« eingesetzt würden. Polen reagierte mit NATO-Draht, Panzersperren, tausenden Soldaten und Polizisten, die Flüchtlinge mit brachialer Gewalt, mit Wasserwerfern, Tränengas, Pfefferspray und Knüppeln zurückdrängen. In der »Fachsprache« nennt man das »Pushbacks«, eine Handlungsweise, die griechischen Grenzern von der EU-Truppe Frontex zur Last gelegt wurde, als sie Boote mit Flüchtlingen, die vom EU-Verbündeten Türkei in Richtung EU-Grenze geschickt wurden, nicht anlanden ließen. Was den Polen recht ist, darf für Griechen nicht unbedingt gebilligt werden. Ebenso wie der Zaun aus NATO-Draht, der einst Ungarn als Vergehen gegen Völkerrecht angekreidet wurde.

Hier geht es eben um mehr, nämlich um »unsere Werte«, die »wir« gegen »Machthaber« wie Lukaschenko und Putin verteidigen müssen. Da ist jedes Mittel recht, absolut jedes…