Ausland09. Februar 2024

Vorstoß in Richtung Osten

Operationsplan für militärische Operationen im Fall eines Krieges mit Rußland

von German Foreign Policy

Deutsche Militärs entwickeln bereits seit dem vergangenen Frühjahr konkrete Planungen für kriegerische Operationen auf deutschem Boden. Zuständig für die Arbeit an dem »Operationsplan Deutschland« ist das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr. Dessen »wesentliche Aufgabe« sei es, den »vorgesehenen Aufmarsch« – der Sache nach gegen Rußland – und die »Versorgung verbündeter und eigener Streitkräfte in der Drehscheibe Deutschland sicherzustellen«, erläutert die deutsche Bundeswehr.

Die »Forderungen der NATO an Deutschland« als Drehscheibe eines transatlantischen Vorstoßes in Richtung Osten seien die »zentrale Einflußgröße bei der Erstellung« des Operationsplans. Die Bundesregierung arbeitet bereits seit Jahren am Ausbau der transeuropäischen »militärischen Mobilität«. Jüngste Initiative ist eine kürzlich unterzeichnete Absichtserklärung der Niederlande, Polens und Deutschlands, die gemeinsam einen »Musterkorridor« für Truppenverlegungen an die NATO-Ostflanke aufbauen wollen.

»Operationsplan Deutschland«

Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg stellt die Bundesrepublik Deutschland einen umfassenden »Verteidigungsplan« auf, den sogenannten »Operationsplan Deutschland«. Dabei handelt es sich um konkrete Planungen für »den operativen Einsatz der Bundeswehr in Deutschland in Frieden, Krise und Krieg«. Hintergrund sei die sich mit der drohenden weiteren militärischen Eskalation des Einflußkampfes zwischen den NATO-Staaten und Rußland »verschärfende sicherheitspolitische Lage in Europa«, erläutert die Bundeswehr: Es gelte, sich »letztendlich auch« auf »Krieg einzustellen«.

Der Operationsplan beruht nach Angaben der Truppe auf der »Basis der NATO-Verteidigungsplanung«. Wesentliche Teile der deutschen Streitkräfte sind inzwischen in unterschiedlicher Form im NATO-Aufmarsch in größtmöglicher Nähe zur russischen Westgrenze gebunden. Die deutschen Militärs gehen bei der Erarbeitung des Operationsplans davon aus, daß »ein größerer Teil« der Bundeswehr »in Deutschland selbst nicht eingeplant« werden könne, da er »an der Ostflanke« der NATO »gebraucht« werde. Nicht zuletzt deshalb stützt sich der Operationsplan maßgeblich auch auf die Einbindung ziviler Kräfte und Reservisten.

Nach Osten

Von dem konkret ausformulierten »Operationsplan Deutschland« erhofft sich die Bundeswehr eine »schnelle Handlungsfähigkeit über alle Ressort- und Ländergrenzen hinweg«. Das Planungspapier soll die Bundesrepublik befähigen, den »Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke« durchzuführen. Dabei gehe es unter anderem um die Verkehrsleitung bei Truppenmärschen, um das Betanken der Militärfahrzeuge, um Unterstützung bei technischen Problemen und um die Unterbringung und Verpflegung der NATO-Soldaten auf ihrem Weg nach Osten.

Ziel und Aufgabe der deutschen Streitkräfte sei es, »Aufmarschwege für Verbündete« freizuhalten und »Konvois zu versorgen«. Dieser sogenannte »Host Nation Support« zählt demnach zu den »wesentlichen Beiträgen« Deutschlands zur »NATO-Verteidigungsplanung« und damit »letztlich auch zur Landes- und Bündnisverteidigung«. »Bereits jetzt« laufen nach Angaben der Bundeswehr »verstärkte Übungen« in diesem Bereich: Der Umfang der Truppenbewegungen habe wesentlich zugenommen, die Reaktionszeiten seien geringer geworden.

Vom Frontstaat zum Aufmarschgebiet

Bei der Ausarbeitung des Operationsplans greifen die deutschen Militärs nach Angaben des verantwortlichen Generals André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, »auf alte Überlegungen aus dem Kalten Krieg« zurück. Allerdings seien die damaligen Kriegspläne »nicht eins zu eins übertragbar«. Hintergrund sind mehrere Jahrzehnte Ostexpansion von EU und NATO und damit auch des unmittelbaren deutschen Einflußgebietes über die ehemalige Westgrenze der Sowjetunion hinaus.

Mit seiner Expansion nach Osten hat der NATO-Block nicht nur die Nachkriegsordnung untergraben, sondern auch Deutschlands strategische Position im Ringen der Großmächte um Osteuropa verändert. Während des Kalten Krieges verlief die Frontlinie zwischen den Blöcken noch durch die heutige Bundesrepublik bzw. durch Berlin. Heute stoßen die Einflußsphären viele hundert Kilometer weiter östlich aufeinander. Die Bundesrepublik ist heute nicht mehr Frontstaat, sondern »die logistische Drehscheibe für Marschbewegungen der Partnerstreitkräfte« auf dem Weg nach Rußland, wie das Kriegsministerium formuliert.

General Bodemann rechnet deshalb »nicht« mit einer »Panzerschlacht« auf deutschem Boden. Aufgrund Deutschlands »geostrategischer Lage« als militärisches Transitland gehen die Militärplaner vielmehr von Angriffen auf die »kritische Infrastruktur« aus. Wahrscheinlicher seien »Sabotageaktionen« mit dem Ziel, »den Aufmarsch zu behindern oder zu verhindern« – etwa durch »irreguläre Kräfte« oder »eingesickerte« Spezialkräfte –, aber auch Angriffe mit »ballistischen Raketen«. Insbesondere Häfen, Brücken und Energieunternehmen seien »bedroht«.

Ausbau der Marschwege

Bei der Formulierung des Operationsplanes können die deutschen Militärs auf die Ergebnisse der Kriegsvorbereitungen der vergangenen Jahre zurückgreifen. Berlin treibt bereits seit Jahren Maßnahmen voran, um EU-weit die infrastrukturellen Voraussetzungen für die Verlegung militärischer Großverbände zu verbessern – beispielsweise mit den PESCO-Projekten »Network of Logistic Hubs« und »Military Mobility«. Ziel ist der »Aufbau eines europäischen Logistik-Netzwerkes, um Ausrüstung, Material und Munition zu lagern und für Transporte vorzubereiten«. Zudem sollen Verfahren für Truppenbewegungen zwischen den EU-Staaten beschleunigt und die Verkehrsinfrastruktur modernisiert werden – »insbesondere in Richtung NATO-Ostflanke«.

Jüngster Vorstoß in diesem Bereich ist eine kürzlich von den Niederlanden, Deutschland und Polen unterzeichnete Absichtserklärung, in der sich die drei Staaten dem Aufbau eines »grenzüberschreitenden Musterkorridors für den militärischen Verkehr von Westen nach Osten« verschreiben. Die Regierungen in Den Haag, Berlin und Warschau planen gemeinsam »die Organisation des zentralen militärischen Verkehrs [der NATO-Nachschubtruppen] von West nach Ost«. Verantwortlich für die Umsetzung des Musterkorridors »von den Tiefseehäfen an der Nordsee an die besonders exponierte NATO-Ostflanke« ist die im deutschen Ulm angesiedelte NATO-Kommandostruktur JSEC, die laut dem deutschen Kriegsministerium »sämtliche Truppenbewegungen der NATO im europäischen Bündnisgebiet« koordiniert.