»20 Jahre später und keine Gerechtigkeit in Sicht«
USA-Bürger fordern Schließung des völkerrechtswidrigen Gefangenenlagers Guatánamo
Vor 20 Jahren wurden die ersten Gefangenen des »Antiterrorkriegs« der USA nach Guantánamo verschleppt. Das Lager zu schließen, ist eine Absichtserklärung der Biden-Regierung geblieben.
An den 20. Jahrestag der Eröffnung des infamen Lagers, in dem USA-Militär und CIA folterten und bis heute Isolationshaft gilt, erinnern Mahnwachen und Demonstrationen an einem Dutzend Orten in den USA. Neben Boston, New York, Cleveland und Los Angeles wird auch direkt vor dem Weißen Haus in Washington D.C. protestiert.
Zu den Organisatoren gehören alte Bekannte aus der USA-Friedensbewegung wie Pax Christi, Witness against Torture und Code Pink wie auch Anwaltsvereinigungen wie das Center for Constitutional Rights, die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union und Amnesty international.
Zur Mittagszeit zogen Dutzende von Demonstranten in orangefarbenen Anzügen und mit Kapuzen vor das Weiße Haus. »Präsident Biden: Warum ist Guantanamo immer noch in Betrieb – 20 Jahre später und keine Gerechtigkeit in Sicht«, heißt es im Aufruf.
Mit einem virtuellen Protest soll darauf »dem Normalzustand, der Guantánamo begleitet, ein Ende bereitet werden«. 20 Jahre lang hätten sämtliche USA-Regierungen versagt, auch nach einem Amtsjahr sei die Biden-Regierung untätig geblieben. Es sei »nicht mehr hinnehmbar, daß unter einer USA-Regierung Gefangenschaft ohne Anklage und ordentlichen Gerichtstermin möglich und Entschädigung und Wiedergutmachung unmöglich sind.«
Erst ein Gefangener wurde seit Bidens Amtsübernahme freigelassen. Damit zog er mit Trump gleich. Unter Obama und Bush waren über 700 Gefangene in die Freiheit entlassen worden.
Als Senator hatte sich Biden gegen das Gefangenenlager ausgesprochen, ebenso später als Vizepräsident unter Barack Obama, der per Dekret die Schließung innerhalb eines Jahres angeordnet hatte, dabei aber auf den scharfen Widerstand im Kongreß stieß, als er die Zuständigkeit für die Verfahren an USA-Bundesgerichte übertragen wollte. Zur Begründung für den Abzug aus Afghanistan hatte Biden im vergangenen Sommer beteuert, er wolle den Krieg keinem fünften Präsidenten hinterlassen. Bei Guantánamo, einer weiteren Hinterlassenschaft des »war on terror«, scheint der Mut aber geschwunden zu sein.
Bei der Verabschiedung des Militäretats durch den Kongreß im vergangenen Jahr kritisierte Biden noch, er sei dagegen, daß im Etat der Geldhahn für die Repatriierung von Guantánamo-Gefangenen in ihren Heimat- und Drittländern wie schon unter Trump weiter zugedreht bleibt. Doch schon ein paar Wochen später war aus dem Weißen Haus nichts mehr zu hören. Das Pentagon kündigte Ende Dezember den Neubau eines zweiten »Gerichtsgebäudes« in Guantánamo an, der Mitte kommenden Jahres für geheime Gerichtsverhandlungen fertiggestellt werden soll: Kostenpunkt 4 Millionen Dollar.
Mehrheiten im Kongreß untersagten während der Amtszeit von Obama jede Verlegung von Guantánamo-Gefangenen auf US-amerikanisches Territorium. Welche Denkweise sich bis heute dahinter verbirgt, unterstrich der Republikaner-Senator Lindsey Graham aus South Carolina bei einer Anhörung im vergangenen Monat. Die USA befänden sich nach wie vor »im Krieg«, deshalb wolle er die Insassen als Kriegsgefangene »solange festhalten, wie es für unsere Sicherheit nötig ist, bis sie keine Bedrohung für uns mehr darstellen.«
Die widersprüchliche Rechtslage von Guantánamo ist der Grund, weshalb es als Gefangenenlager von den USA erst eingerichtet wurde. Als Ergebnis der spanischen Niederlage gegen die USA im Krieg von 1898 hatte Washington die Zustimmung Kubas zu einem »Deal« erzwungen. Dem Pachtabkommen von 1903 zufolge hat Kuba »die endgültige Souveränität« über den Landstrich inne, während die USA die »vollständige Rechtsprechung und Kontrolle« ausüben. Aus Sicht der USA gelten in Guantánamo für Ausländer aber nicht die Grundsätze der USA-Verfassung – deshalb wurde das Lager dort eingerichtet.
39 muslimische Männer bleiben als Häftlinge. Gegen die große Mehrheit von ihnen wurde nie Anklage erhoben, und das wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch so bleiben. Dreizehn Männer haben ihren Freilassungsbescheid längst erhalten, und sind vom Militär und von den Geheimdiensten zur Entlassung empfohlen worden. Einige von ihnen warten darauf seit Jahren, die Entlassungspapiere in der Hand.
Guantánamo kostet den Steuerzahler pro Jahr mehr als seine halbe Milliarde Dollar, das sind etwa 13,5 Millionen Dollar pro Häftling.
Die Schritte, die die Biden-Regierung unternehmen müßte, bestehen laut dem Center for Constitutional Rights in der Ernennung von dafür zuständigen Beamten aus dem Weißen Haus und aus dem Außenministerium. Jemand müßte die Behörden koordinieren, eine andere Person die Entlassung und Unterbringung in Heimat- und Drittländern mit den entsprechenden Regierungen vereinbaren. Einige Gefangene müßten sofort transferiert werden. Die Insassen werden »älter, kränker und immer verzweifelter«, sagt die Anwältin Pardiss Kebriaei, die einen Gefangenen aus dem Jemen vertritt. Der älteste ist ein 74-jähriger Pakistaner, dessen Freilassung schon im Mai 2021 genehmigt wurde. Er leidet an Herzbeschwerden.
Zu den »Schwergewichten« unter den Gefangenen in Guantánamo gehört Chalid Scheich Muhammed, einst ein führendes Mitglied von Al-Kaida. Die USA halten ihn für den Chefplaner der Terroranschläge vom 11. September 2001. Zwar wurde gegen ihn und vier weitere Männer vor einer Militärkommission Anklage erhoben. Aber seit fast zehn Jahren ziehen sich die Vorbereitungen für einen »Prozeß« hin. Ob es zu einem Hauptverfahren kommt, ist unklar. Seit Jahren versuchen die militärischen Ermittler, Todesurteile gegen ihn und vier weitere zu erwirken. Doch die Verteidiger weisen zu Recht darauf hin, daß das Beweismaterial, nämlich Geständnisse, unter schwerer Folter, darunter dem berüchtigten Waterboarding, zustande kam und damit nicht verwendbar ist.
Menschenrechtsvereinigungen hoffen nun, daß die Biden-Regierung nur nach außen hin nichts unternimmt, um gegen der Republikaner-Opposition keinen Staub aufzuwirbeln, und mit stiller Diplomatie ihren Absichtserklärungen Taten folgen läßt.