Ergebnislose Parlamentsdebatte in Paris
UTL: Regierung bezichtigt La France insoumise der »Sabotage«. Gewerkschaften wollen einen »höheren Gang einlegen«
Die auf zwei Wochen begrenzte Debatte in der Nationalversammlung über das Gesetz zur »Rentenreform« endete am Freitag um Mitternacht ergebnislos. Von den 20 Paragraphen des Textes hatte es nur zu zwei von ihnen eine Diskussion und Abstimmung gegeben, während 18 aus Zeitmangel nicht behandelt werden konnten. Vor allem betrifft dies den besonders umstrittenen Artikel 7, durch den das Rentenalter von 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll.
Gegen 23 Uhr waren am späten Freitagabend noch etwas mehr als 7.000 Änderungsanträge zu dem Gesetzentwurf zu behandeln. Ursprünglich waren mehr als 20.000 Änderungen eingebracht worden, davon die übergroße Mehrheit vom Linksbündnis NUPES und dort vor allem von der Bewegung La France insoumise. Doch während die Kommunisten, die Sozialisten und die Grünen schon vor Tagen zum Zeichen des guten Willens ihre Anträge zurückgezogen hatten, was LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon als »unverständlich« mißbilligte, bestand dessen LFI-Fraktion weiter auf der Behandlung ihrer Anträge. Gleichzeitig forderten die LFI-Abgeordneten eine Verlängerung der Debatte, was ihnen nicht zugestanden wurde.
Daß La France insoumise so weiter die Parlamentsdebatte in die Länge zu ziehen und dadurch zu blockieren versuchte, hat Premierministern Elisabeth Borne als »Sabotage« und »antidemokratisch« gegeißelt. Kritik kam aber auch aus den Reihen der NUPES, wenn auch verhalten, um nicht den Eindruck einer beginnenden Spaltung aufkommen zu lassen. So nannte ein Sprecher der Partei der Grünen das Verhalten von LFI »taktisch falsch«.
Um die »Rentenreform«, die von zwei Dritteln der Bürger abgelehnt wird, möglichst zügig durchs Parlament zu schleusen, hatte die Regierung auf den fast noch nie verwendeten Artikel 47.1 der Verfassung zurückgegriffen. Der sieht für weniger bedeutende Gesetzesanträge eine beschleunigte Behandlung vor, mit nur einer statt wie üblich zwei Lesungen und lediglich 50 Tagen in beiden Kammern des Parlaments.
Nun wird der Entwurf des Gesetzes ohne Votum der Nationalversammlung an den Senat weitergeleitet. Dort verfügt die rechte Oppositionspartei der Republikaner über die Mehrheit, von der sich die Regierung eine Unterstützung ihrer Reformpläne erhofft und denen sie darum schon zahlreiche Zugeständnisse im Gesetzestext gemacht hat. Nach einer einwöchigen Parlamentspause beginnt am 28. Februar die Behandlung in den Kommissionen des Senats und am 2. März im Plenum. Dort muß die Debatte und Abstimmung bis zum 12. März um Mitternacht abgeschlossen sein.
Zu Beginn der darauf folgenden Woche wird der aus je sechs Angeordneten der Nationalversammlung und sechs Senatoren zusammengesetzte »Gemischte paritäre Ausschuß« des Parlaments zusammentreten, um einen Kompromiß der Ergebnisse in beiden Kammern zu suchen. Gelingt das, muß darüber noch abschließend in der Nationalversammlung und im Senat abgestimmt werden. Kommt keine Einigung zustande, wird die Regierung zum Artikel 49.3 der Verfassung greifen und die Abstimmung mit der Vertrauensfrage verbinden, was sie wegen des demokratisch fragwürdigen Charakters dieses Manövers eigentlich vermeiden will. Präsident Emmanuel Macron und seine Regierungschefin Elisabeth Borne sind andererseits fest entschlossen, alles zu tun, damit die Rentenreform noch in diesem Jahr in Kraft treten kann.
Die Gewerkschaften, die sich in der Ablehnung der Rentenreform und vor allem gegen die Anhebung des Rentenalters einig sind wie selten zuvor, haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Pläne der Regierung durchkreuzen und sie zur Rücknahme der »Reform« zwingen zu können.
Nach fünf landesweiten Streik- und Aktionstagen am 19. und 31. Januar sowie dem 7., 11. und 16. Februar, wo an jeweils 200-250 Demonstrationen insgesamt zwischen 1,6 und 2,8 Millionen Franzosen teilnahmen, wollen sie am 7. März einen »höheren Gang einlegen«, wie der CFDT-Vorsitzende Laurent Berger ankündigte. Für diesen Tag planen bereits die Eisenbahner und die Beschäftigten der Energiewirtschaft sowie die Fachgewerkschaften verschiedener Branchen den Beginn von unbegrenzten Streiks, die sich zu einem landesweiten Generalstreik ausweiten könnten.