Schatten über dem Treffen Conte-Merkel in Berlin
Der frühere EZB-Präsident Mario Draghi soll als Nachfolger Premier Contes im Gespräch sein
Zur Vorbereitung des für den 17./18. Juli anberaumten EU-Gipfels über den EU-Wiederaufbaupakt in der Corona-Krise hat die deutsche Bundeskanzlerin Merkel, die derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, am Montag Italiens Premier Conte in Berlin zu einem etwa einstündigem Gespräch empfangen. Wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA berichtete, habe Merkel auf der anschließenden Pressekonferenz eingeräumt, daß »die Meinungen teilweise noch recht unterschiedlich sind«, aber sie denke, »wir werden zu einer Einigung kommen«, und habe betont, daß »wir solidarisch aus der Krise herauskommen müssen«.
Merkel habe »die außergewöhnliche Disziplin« gewürdigt, die Italien in der Corona-Krise gezeigt habe, und erklärt, daß »Italien große Opfer gebracht« und die Italiener »bewundernswert reagiert« hätten. Zu den EU-Fonds habe Merkel betont, man dürfe sie »nicht zu stark verkleinern«, und hinzugefügt, »ob wir unabhängig von den Quoten eine Einigung erzielen oder nicht« sei noch nicht sicher, und »der Weg in die Zukunft noch lang«.
Premier Conte habe erklärt, Italien stehe für »klare und transparente Ausgabekriterien« und darauf gedrängt »so schnell wie möglich eine Einigung zu erzielen«. Gebraucht werde »eine starke und koordinierte Reaktion der EU«. Conte rechne mit »sehr schwierigen Verhandlungen«, das habe er immer unterstrichen, aber gleichzeitig versucht, »das gemeinsame Ziel einer soliden, starken und koordinierten Reaktion der EU zu vertreten«, schreibt ANSA. Die EU müsse den Bürgern »Lösungen anbieten, keine Illusionen und Ängste zulassen«. »Das überlassen wir nationalistischen Bewegungen«, habe der italienische Premierminister hinzugefügt.
Zu den Schattenseiten im Vorfeld des EU-Gipfels gehörte, daß ANSA am Wochenende berichtete, Contes Herausforderer – sowohl die der Opposition, faschistischen Allianz aus Salvinis Lega, Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni und Forza Italia (FI) Berlusconis – als auch sein Regierungspartner, die Fünf Sterne-Bewegung (M5S), könnten die Auseinandersetzung über die Annahme der Corona-Kreditlinie des EU-Rettungsschirms nutzen, um ihn zu stürzen. ANSA bezog sich auf ein Treffen zwischen Außenminister Luigi Di Maio (M5S) mit dem ehemaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi, bei dem das Thema eine Rolle gespielt haben soll. Denn selbst unter den Fünf Sternen werde die Möglichkeit eines Regierungswechsels – mit Draghi als Premier mit einer größeren Mehrheit – erwogen.
Beobachter in Rom verweisen darauf, daß Draghi, der zur Zeit keine politische Funktion innehat, schon einmal dazu im Gespräch war. Conte sei sich der Manöver durchaus bewußt, schreibt ANSA, und er habe während seiner »diplomatischen Tour« – Gespräche mit seinen Amtskollegen in Lissabon, Madrid und Den Haag über das Auftreten auf dem EU-Gipfel am 17. und 18. Juli in Brüssel – seiner »täglich fibrillierenden Regierung Sauerstoff zuführen« und den »Manövern für eine neue Regierung« entgegenwirken wollen. In der Sterne-Partei ist jedoch die Haltung Di Maios, des eher rechten Flügelmannes der Bewegung, umstritten. Der amtierende Sterne-Chef Vito Crimi unterstütze die Fortsetzung der Regierungskoalition mit der PD, schreibt ANSA.
Es geht um bis zu 36 Milliarden Euro an angeblich günstigen Krediten, die die von der Corona-Krise schwer getroffene Wirtschaft Italiens vom Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Anspruch nehmen könnte. Im Gefolge der Coronakrise rechnet Italien laut Wirtschaftsexperten im Jahr 2020 mit einem Produktionsrückgang von 9 Prozent, bei negativeren Schätzungen ist auch von bis zu 13 Prozent die Rede, und man erwartet für 2021 nur eine »sehr langsame Erholung«.
Bei den Gesprächen Contes mit seinen Amtskollegen ging es darum, einen möglichst großen Teil des »Recovery Fonds« als Zuschuß mit geringen Auflagen zu erhalten. Den Gesprächen Contes in Den Haag kam dabei ein besonderer Stellenwert zu, denn die Niederlande bilden mit Österreich, Dänemark und Schweden die »Sparsamen Vier« der EU, die nicht rückzahlbare Milliardenzuwendungen ablehnen. Mit dem niederländischen Premier Rutte habe es in Den Haag zwar »keine vollständige Konvergenz« gegeben, aber »Übereinstimmung hinsichtlich der Notwendigkeit einer europäischen Reaktion« zum Wiederherstellungsfond, hatte ANSA am Samstag berichtet, und das Klima sei »hervorragend« gewesen. Conte habe gewarnt, daß der Wiederauffüllungsplan noch »sehr voll von Bedingungen ist, die Auswirkungen haben würden«.
Conte hatte sich mit seiner Forderung nach »Coronabonds« wochenlang dem ursprünglichen EU-»Rettungsplan« widersetzt und dem nun »Wiederaufbauplan« getauften Konjunktur-Programm über 750 Milliarden Euro erst zugestimmt, nachdem einige von Rom verlangte Korrekturen vorgenommen worden waren. Auch jetzt sieht der Jura-Professor immer noch Bedingungen, die von der EU-Kommission gestellt werden können. Dazu gehört, daß die Mittel gemäß einem Verteilungsschlüssel, der das Pro-Kopf-BIP und die Arbeitslosigkeit berücksichtigt, an die Staaten weitergereicht werden und der Finanzierung öffentlicher Investitionen und Reformen, die von den Staaten gewählt, aber von der EU vorgegeben werden, entsprechen müssen.
Der italienische EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni vom sozialdemokratischen PD, der für die Annahme der Kreditlinie ist, mußte eingestehen, daß die »Empfehlungen«, die die EU-Kommission jedes Jahr an die einzelnen Staaten vorgibt, umzusetzen sind. EU-Kommissar Valdis Dombrovski mußte zugeben, Mitgliedstaaten die »die von der EU festgelegten Prioritäten« nicht einhalten, würden das Geld einer Rate verlieren. Schließlich ist zu sehen, daß sowohl die Kredite als auch die Zuschüsse Strukturfonds sind, deren Mittel durch die Beteiligung der Staaten am EU-Budget finanziert und über mehrere Jahre ausgegeben werden. Das Programm wurde zwischen Frankreich und Deutschland ausgehandelt und ist damit den Prioritäten der deutschen und französischen Wirtschaft untergeordnet.
Mit seinen Einwänden macht sich Conte in Brüssel keine Freunde und man würde gegen einen Wechsel an der Regierung, auch im Fall der Einbeziehung der erwähnten rechtsextremen Kreise, keine Einwände haben. Gehört doch in Brüssel u.a. der Vizechef von Berlusconis FI, Antonio Tajani, bis 2019 Präsident des EU-Parlaments, zu den Befürwortern eines Eintritts der Parteien der faschistischen Allianz in eine Regierung ohne Conte.
Diesen Kurs der faschistischen Allianz, Conte zu stürzen, unterstützen auch Confindustria-Präsident Carlo Bonomi und der Chef der Banca d‘Italia, Ignazio Visco, der einen »konstruktiven Dialog« zur Herstellung »neuer Beziehungen zwischen Regierung, Realwirtschaft, Finanzunternehmen und Institutionen« forderte, um »die Stabilität des Systems gewährleisten«.
Dieses Konzept entspricht genau dem von Berlusconi mit der Forza Italia, der Lega und den Fratelli Italiens verfolgten Projekt, das Kabinett des parteilosen Conte zu stürzen und »durch eine um ihre Parteien erweiterte Regierung zu ersetzen, die sie dominieren und mit der sie sich dann kaum zufrieden geben würden«, schätzte der Professor an der Universität von Udine, Stefano Azzara im Juni im Gespräch mit dem Autor ein.
Nun ist abzuwarten, wie der Gipfel in Brüssel am Wochenende ausgehen wird. Dann wird Conte sein angekündigtes Dekret über die Umsetzung des »Wiederaufbauplanes« vorlegen, wozu er die Zustimmung von Abgeordnetenhaus und Senat einholen muß.
Das Beratungsinstitut Teneo schätzt ein, daß Conte sich letztlich auf das MES-Programm werde einlassen müssen. Aber er werde dabei alle möglichen politischen Manöver anwenden, um der widerspenstigen Fünf-Sterne-Bewegung die Entscheidung so schmackhaft wie möglich zu machen. Eine schnelle Entscheidung werde aber nicht erwartet.
Gerhard Feldbauer
Kanzlerin Angela Merkel und Premierminister Giuseppe Conte am Montag auf dem Balkon des Gästehauses der deutschen Bundesregierung Meseberg (Tobias SCHWARZ/AFP)