Kultur09. Juli 2021

Zum 400.Geburtstag des Fabeldichters Jean de La Fontaine

Er vermittelte Naturkenntnis, Moral und schöne Sprache

von Ralf Klingsieck, Paris

Von den großen Autoren der klassischen Literatur kennt jeder Franzose mindestens einen – Jean de La Fontaine, dessen Geburtstag sich am 8. Juli zum 400. Mal jährte. Seine Fabeln sind seit Ende des 19. Jahrhunderts Pflichtstoff an den Grundschulen, wo sie den Kindern Kenntnisse über die Natur vermitteln und sie sich in schöner französischer Sprache üben sollen. Doch vor allem soll sich ihnen die Moral einprägen, mit der jede Fabel endet. Eine oder mehrere von ihnen können viele Franzosen auch im hohen Alter noch auswendig aufsagen.

Es sind durchweg Tierfabeln, in denen sich Tiere wie Menschen verhalten und auch deren Eigenschaften haben. Die prägnantesten sind dabei bestimmten Tieren zugeordnet: der Fuchs ist listig, die Eule weise, der Löwe mutig, die Schlange hinterhältig, die Gans dumm…

Seine wohl bekannteste Fabel ist die vom Raben, der hoch oben auf seinem Baum einen Käse im Schnabel hält, und den der Fuchs durch seine Schmeicheleien dazu bewegen kann, seine angeblich so schöne Stimme erklingen zu lassen. Dabei fällt wie erwartet der Käse herunter und der Fuchs, der die Delikatesse auffressen kann, belehrt nun auch noch den beschämten Vogel, man dürfe nie auf Schmeicheleien hereinfallen.

Den Inhalt seiner Fabeln hat La Fontaine nicht selbst erdacht, sondern zumeist von Äsop übernommen, aber was bei dem griechischen Dichter, der um 600 vor der Zeitrechnung gelebt hat, nüchtern und trocken klingt, hat der Franzose in leicht einprägsame Versform gebracht und locker wie eine Spielszene inszeniert.

Charakteristisch für Jean de La Fontaines Fabeln ist der Verzicht auf vordergründige Moral zugunsten von Ironie, die den Leser indirekt und unaufdringlich zur richtigen Erkenntnis führt. Damit hatte er großen Erfolg. Er gehörte zu den meistgelesenen Dichtern seiner Zeit, und daß er das Genre der Fabel aus den Niederungen der mündlich überlieferten Geschichten in die Sphären der anerkannten Literatur erhoben hat, sicherte ihm einen Ehrenplatz unter den französischen Autoren des 17. Jahrhunderts.

Doch da Jean de La Fontaine in seinen Fabeln oft unterschwellig Kritik an den herrschenden Zuständen seiner Zeit und nicht zuletzt an der Aristokratie und am Hof übte, kam er zeitlebens nie in den Genuß einer königlichen Pension – im Gegensatz zu Dichterkollegen, die ebenfalls nicht von ihrer Feder leben konnten, die aber zu mehr Zugeständnissen bereit waren.

Jean de La Fontaine ist am 8. Juli 1621 in der knapp 100 Kilometer nordöstlich von Paris gelegenen Kleinstadt Château-Thierry geboren. Sein Vater war königlicher Wald-, Jagd- und Fischerei-Rat und gehörte zum niederen Amtsadel. Daß sich sein Sohn in der Kindheit und Jugend viel im Wald und unter Tieren aufgehalten und die Natur gründlich kennengelernt hat, kam später seinem literarischen Werk zugute. Nach einer gründlichen Schulausbildung in seiner Heimatstadt absolvierte Jean de La Fontaine auf Wunsch des Vaters ein Jurastudium in Paris, doch war er danach nie als Anwalt tätig. Statt dessen schrieb er seine ersten Fabeln und eine Reihe freizügiger Erzählungen, für die er sich das Dekameron von Boccaccio zum Vorbild nahm.

Damit hatte er auf Anhieb viel Publikumserfolg, geriet aber bald ins Visier von Reaktionären der Kirche und des Hofes. Durch einen Onkel seiner Frau kam er in Kontakt mit dem Finanzminister Fouquet, der Gefallen an dem Dichter fand und ihn in seine Dienste nahm. Beide verband eine tiefe Ideenübereinstimmung, die zur Freundschaft wurde.

Doch diese glücklichste Zeit seines Lebens dauerte nur wenige Jahre. Als Fouquet unter dem Vorwurf, Staatsgelder veruntreut zu haben, beim König in Ungnade fiel, vor Gericht gestellt, verurteilt und bis zu seinem Tod in einer Alpen-Festung eingekerkert wurde, war Jean de La Fontaine einer der wenigen, die ihm treu blieben und sich für ihn einsetzten. Das reichte bis zu einer Bittschrift an den König, in der La Fontaine um Gnade für den Freund bat, doch ohne Erfolg.

In den folgenden Jahren trat er in den Dienst einer Prinzessin aus dem Hause Orleans und nach deren Tod lebte er 20 Jahre lang bei der vermögenden und literaturbegeisterten Madame de La Sablière. In dieser Zeit schrieb er die meisten seiner letztlich fast 250 Fabeln. Mit denen hatte er noch einmal viel Erfolg. Das trug sicher zu einer späten Ehrung bei, der Wahl in die Académie Française.

Nachdem seine Gönnerin 1693 gestorben war, verbrachte Jean de La Fontaine die restlichen Jahre unter dem Dach von verschiedenen Mäzenen. Am 13. April 1695 ist er im Alter von 73 Jahren krank und bitterarm gestorben. Bei der Auflösung des Friedhofs im Pariser Hallenviertel Mitte des 19. Jahrhunderts landeten seine Gebeine mit denen von vielen tausend anderen in den Katakomben unter der Stadt. Der Granitsarkophag mit seinem Namen auf dem Pariser Friedhof Père-Lachaise ist nur ein Ehrengrab und leer, ebenso wie neben ihm das Grab von Molière.