Leitartikel17. Juni 2021

Auf dünnem Eis

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Es gibt besorgniserregende Nachrichten aus der Arktis, die nicht nur als »Kühlkammer« für das gesamte Weltklima, sondern wegen der Vorgänge in der Atmosphäre über ihr auch als Europas »Wetterküche« gilt: »Das Meereis bildet sich viel später im Jahr und es schmilzt früher als je zuvor«, warnte die deutsche Meereisphysikerin Stefanie Arndt am Dienstag auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Arndt arbeitet am Alfred-Wegener-Institut (AWI) in Bremerhaven und hat an Bord der »Polarstern« an der Expedition »Mosaic« zur Erforschung des Klimas am Nordpol teilgenommen. Schon an der Dauer der Reise kann man ablesen, daß das arktische Meereis auch immer instabiler wird: Brauchte der norwegische Forscher und Friedensnobelpreisträger Fridtjof Nansen Ende des 19. Jahrhunderts noch drei Jahre für die 3.400 Kilometer lange Drift durch das Nordpolarmeer, so benötigte die »Polarstern« nur noch 300 Tage.

An Bord des Forschungsschiffs arbeiteten im fliegenden Wechsel mehrere Hundert Wissenschaftler von 80 Forschungseinrichtungen in 20 Ländern. Vor allem ging es um die Erfassung noch fehlender Meßdaten aus der zentralen Arktis. Es wurden mehrere Zehntausend Proben genommen und über 150 Terabyte an Daten erhoben, die nun in aller Welt ausgewertet werden.

Doch es steht bereits fest, daß das Meereis der Arktis nur noch ungefähr halb so dick und in seiner Ausbreitung nur noch halb so groß ist, wie zur Zeit Nansens. Wie die Polarforscher berichten, gab es während des letzten Winters am Nordpol fast durchgehend um zehn Grad höhere Temperaturen als bei früheren Expeditionen.

Und auch in einer Höhe von acht bis 50 Kilometern über dem arktischen Meereis, in der Stratosphäre, tut sich Besorgniserregendes, warnen die Forscher. Dort entdeckten sie ungewöhnliche Windmuster. Die Wissenschaftler gehen davon aus, daß auch die Hitzewellen, die unsere Breiten im vergangenen Jahr heimgesucht haben, dadurch verstärkt wurden, daß unsere »Kühlkammer« nicht richtig funktionierte.

Doch nicht genug der schlechten Nachrichten: Die Forscher beobachteten außerdem einen schnellen Abbau der Ozonschicht über der Arktis. Das war schonmal ein Problem in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts, bevor sogenannte Fluorchlorkohlenwasserstoffe, kurz: FCKW, dann in den 90er Jahren weltweit verboten wurden.

Durch die schwindende Ozonschicht gelangt mittlerweile wieder mehr Ultraviolettstrahlung bis zum Erdboden, was letztlich dazu führen wird, daß es weltweit wieder mehr durch die UV-Strahlung ausgelöste Hautkrebsfälle geben wird, die nicht selten tödlich verlaufen.

»Wir sind kurz davor, einen der wichtigen Kippunkte des Klimawandels zu erreichen: das Verschwinden des Meereises im Sommer«, warnte Expeditionsleiter Markus Rex. Das könne dann weitere Kippunkte auslösen, warnte der Atmosphärenphysiker.

Kurzum: Entweder die Staatengemeinschaft schafft es, die nicht allzu hochgesteckten Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, oder der Menschheit droht Furchtbares. Die Forscherin Stefanie Arndt sagt, es sei bereits unvermeidlich, daß wir die letzte Generation sind, die im Sommer noch Eis auf dem Polarmeer beobachten kann…