Luxemburg09. August 2025

Fachkräfte nicht um jeden Preis

Für die Schaffenden und ihre Gewerkschaften hat der allseits beklagte Mangel an qualifiziertem Personal auch etwas Gutes

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Die ökonomische Misere will nicht enden. Für nächstes Jahr sagt das nationale Statistikamt – nach aktuellem Stand – noch zwei, für das laufende Jahr sogar nur ein Prozent Wirtschaftswachstum voraus. Die Ursachen dafür sehen die Interessenvertreter des Patronats, die in der Regierung aus CSV und DP in sämtlichen Belangen auf weitgeöffnete Ohren stoßen, in hohen bürokratischen Hürden, die eine Fortsetzung der schon seit Jahren betriebenen »administrativen Vereinfachung« dringend erforderlich machten, die – wegen des weitgehenden Verzichts EU-Europas auf russisches Gas und Öl – noch immer hohen Energiepreise, die die Regierung mit ihrem »Mécanisme de compensation« sowie einer staatlichen Übernahme der Netzkosten in Höhe von 150 Millionen Euro in den Griff zu bekommen versucht, und last, not least: der allseits beklagte Fachkräftemangel.

Der lasse sich mittlerweile auch mit mehr als 225.000 in der Regel im Ausland ausgebildeten Grenzgängern nicht mehr beheben, heißt es allenthalben. Auch seien schon lange nicht mehr nur Handwerks- und technische Berufe vom Fachkräftemangel betroffen. Die von der Adem fortlaufend aktualisierte »Liste des métiers très en pénurie« umfaßt ausweislich ihrer Website derzeit 22 Berufsfelder, »in denen es erhebliche Schwierigkeiten gibt, passende Bewerber auf dem nationalen Arbeitsmarkt zu finden«.

Als eine der Hauptursachen des Fachkräftemangels wird oft der demographische Wandel genannt: Die Bevölkerung altert, das Verhältnis von aktiven und Schaffenden im Ruhestand verschiebt sich, dadurch werden Arbeitskräfte knapp. Von Gewerkschaftsseite heißt es, das Problem bestehe vor allem in schlechten Arbeitsbedingungen und Löhnen im Bereich des gesetzlichen Mindestlohns, mitursächlich sei auch die »Bildungslücke«: Zwischen den in der Ausbildung erworbenen Fähigkeiten und den – angesichts im Zuge der Produktivkraftentwicklung komplexer werdender Tätigkeitsfelder – gewachsenen »Anforderungen des Arbeitsmarktes« bestehe eine Lücke, der Anteil »Geringqualifizierter« sei zu hoch. Diese Probleme haben ihre Ursache jedoch auch im nur unzureichend ausgestatteten öffentlichen Bildungssystem, das Kinder aus migrantischen und Arbeiterfamilien zurückläßt, weil auch in der Lehrerschaft Fachkräftemangel herrscht…

Für die lohnabhängigen Schaffenden und ihre Interessenvertreter, die um verbesserte Kollektivverträge streitenden Gewerkschaften, hat ein Fachkräftemangel in einem bestimmten Wirtschaftsbereich indes auch etwas Gutes. So hat das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der den deutschen Gewerkschaften nahestehenden Hans-Böckler-Stiftung in seinem »Europäischen Tarifbericht« gezeigt, daß sich die portugiesischen Lohnabhängigen, die unter einen Kollektivvertrag fallen, zwischen 2022 und 2025 auch deshalb über gut acht Prozent höhere Reallöhne freuen konnten (bzw. können), weil im portugiesischen Baugewerbe und IT-Sektor Fachkräftemangel geherrscht habe. In Rumänien, Kroatien und Bulgarien, so das WSI, sei mit Reallohnzuwächsen von sogar 20 bis 25 Prozent Ähnliches beobachtet worden.

Das zeigt: Handlungsbedarf besteht auf Seiten des Patronats. Das strebt immer ein Überangebot an potentiellen Arbeitskräften an, da es sich die dann zu niedrigeren Löhnen aussuchen kann. Auf der anderen Seite profitieren die Schaffenden und ihre Gewerkschaften von einer Verknappung der Arbeitskräfte. Dann können nämlich sie zwischen verschiedenen Stellenangeboten auswählen und in Kollektivverträgen neben besseren Arbeitsbedingungen auch höhere Löhne durchsetzen. Klagen über den Fachkräftemangel sind also vor allem interessengeleitet – im Sinne des Patronats.