Luxemburg07. Dezember 2023

Gespräch mit Alain Rolling, Zentralsekretär des OGBL im Chemiebereich

Für mehr und bessere Kollektivverträge

von Ali Ruckert

Zeitung: Der OGBL fordert seit langem, dass das Kollektivvertragsgesetz reformiert werden muss, damit die Schaffenden ihre Rechte auch unter veränderten Bedingungen in der Wirtschaft besser verteidigen können.

Alain Rolling: Das stimmt, doch die vorige Regierung von DP, LSAP und Grünen versprach viel in dieser Hinsicht, tat aber wenig, und bei der neuen CSV-DP-Regierung bin ich eher skeptisch was mögliche Fortschritte im Kollektivvertragswesen angeht.

Als Gewerkschafter geht es uns unter anderem darum, dass kollektivvertragliche Abmachungen auf sektorieller Ebene erleichtert und gefördert werden, damit alle Beschäftigten aus einem Bereich an einem Strang ziehen können, um bessere Lohn- und Arbeitsverhältnisse durchzusetzen.

Im Industriebereich gibt es mehr als 90 Kollektivverträge, was auch für die Gewerkschaft eine Herausforderung ist, aber leider gibt es noch längst nicht in jedem Industriebetrieb einen Kollektivvertag, und global gesehen, ist die Zahl der Beschäftigten, die unter einen Kollektivvertrag fallen, viel zu gering. Wir sind hierzulande mit knapp mehr als 50 Prozent im Privatsektor weit von der EU-Richtlinie entfernt, die vorgibt, dass die kollektivvertragliche Abdeckung auf 80 Prozent erhöht werden soll.

Luxemburg ist verpflichtet, diese Richtlinie bis November 2024 umzusetzen. Daher ist es notwendig, dass die Regierung und die Chamber Gas geben, und es ist unsere Rolle als Gewerkschafter, Druck auszuüben, dass es schnell in diese Richtung geht.

Das könnte übrigens auch dazu beitragen, dass die Gewerkschaft in Betrieben und Bereichen an Stärke gewinnt, in denen die Unternehmer es heute leicht haben, Druck auf Personalvertreter auszuüben oder ihnen genehme Personen als Per­so­nal­vertreter einzusetzen, die oft wenig Kenntnisse über die kollektivvertragliche und arbeitsrechtliche Gesetzgebung haben.

Zeitung: Ein besonderes Anliegen der Gewerkschaft ist, dass bei einer Reform des Kollektivvertragsgesetzes auch Warnstreiks möglich werden. Wieso?

Alain Rolling: Es stimmt, dass wir als OGBL dafür eintreten, dass der Warnstreik ins Kollektivvertragsgesetz eingeschrieben wird, denn das würde es den Lohnabhängigen und ihrer Gewerkschaft erlauben, parallel zu Verhandlungen über Warnstreiks Druck auf das Patronat auszuüben. Nicht um einen Unternehmer zu verärgern, sondern um schneller bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen durchzusetzen und zu verhindern, dass der Abschluss von Kollektivverträ­gen nicht immer wieder hinausgezögert werden kann, indem die Schaffenden über lange Zeit hingehalten und müde gemacht werden.

Deshalb muss auch das nationale Schlichtungsamt reformiert werden, denn die Prozeduren sind zu langwierig, was für die Lohnabhängigen ein Nachteil ist.

Zeitung: Es gibt immer wieder Betriebe oder Wirtschaftsbereiche, in denen das Patronat genau diese Taktik anwendet, um Kollektivverträge beziehungsweise Lohn- und Arbeitsverbesserungen zu verhindern, oft mit Erfolg …

Alain Rolling: Das trifft unter anderem auf den Bereich der Gemeinschaftsverpflegung zu. Dort gibt es 4.000 Beschäftigte, von denen die meisten niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen haben. Damit das so bleibt, wehren sich die Unternehmer, darunter der börsennotierte französische Sodexo-Konzern, mit Händen und Füßen gegen einen sek­toriellen Kollektivvertrag. Un­serer Ansicht nach darf es nicht sein, dass das Gesetz es zulässt, dass solche Verhandlungen endlos hinausgezögert werden.

Da wäre es zum Beispiel auch Aufgabe des Gesetzes und der Regierung, zu verfügen, dass staatliche Aufträge, wie sie eben auch im Bereich der Gemeinschaftsverpflegung vergeben werden, für Betriebe daran gekoppelt werden, dass es einen Kollek­tiv­vertrag und ordentliche Lohn- und Arbeitsbedingungen in einem Betrieb gibt, und Unternehmen, die Sozialdumping betreiben oder kollektivvertragliche Abmachungen torpedieren, bei der Vergabe von solchen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Zeitung: Das sollte aber nicht nur auf die Vergabe von staatlichen Aufträgen zutreffen, sondern auch auf Subventionen aller Art, oder?

Alain Rolling: Ich glaube schon, dass das den Beschäftigten helfen würde.

Nehmen wir zum Beispiel den Chemiebereich. Da bekommen Betriebe wie etwa Ampacet finanzielle staatliche Hilfen, wenn sie ihre Produktion oder ihre Produktpalette erweitern, aber es wird weggeschaut, wenn solche Betriebe oft parallel dazu kollektivvertragliche Verschlechterungen für die Beschäftigten durchboxen wollen, etwa indem die Lohnquote gedrückt und die Arbeitsbedingungen verschlech­tert werden. Oft sollen auch Arbeitszeiten noch weiter flexibilisiert werden, ohne dass der Unternehmer aber eine Gegenleistung für den Beschäftigten zu erbringen bereit ist.

Damit können wir als Gewerkschaft natürlich nicht ein­ver­standen sein, denn unsere Aufgabe und unsere verdammte Pflicht ist es, zusammen mit den Belegschaften kollektivvertragliche Verbesserungen durchzusetzen, am besten in Verhandlungen, oder aber – wie das gegenwärtig bei Ampacet der Fall ist – mit einem Streik, wenn eine Geschäftsführung, um die Profite der Aktionäre zu erhöhen, sich weigert, den Beschäftigten einen größeren Teil am geschaffenen Reichtum zuzugestehen.

Zeitung: Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte
Ali Ruckert