Der SREL-Mann und die Krypto-Queen
Ein Beispiel für das von Lenin beschriebene »Parasitäre« am Imperialismus lieferte die Bulgarin Ruja Ignatova, die noch vor der Annexion der DDR als zehnjähriges Mädchen nach Westdeutschland kam und Stipendiatin der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde. 2014 rief die frühere McKinsey-Beraterin in Sofia die Organisation OneCoin/OneLife ins Leben, ein intransparentes Geflecht von Unternehmen, die größtenteils an sogenannten Offshore-Standorten registriert waren. Im Angebot für »Investoren« hatte Ignatova eine angebliche von ihr geschaffene Kryptowährung namens OneCoin.
Doch statt der versprochenen Kryptomünzen auf ihren digitalen Konten erhielten die Millionen von Spekulanten in aller Welt nur Hochglanzprospekte und »Starterpakete«, mit denen immer neue Käufer der vermeintlichen Digitalwährung geworben werden konnten, um von diesen Provisionen kassieren zu können – ein Schneeballsystem par excellence.
Alles war eine riesengroße Show: Abgehalfterte Popsänger wurden zu Ignatovas umjubelten Auftritten in Stadien wie der Londoner Wembley-Arena herangekarrt, bis die selbsternannte Krypto-Queen ihre fanatischen Anhänger um schlappe vier Milliarden US-Dollar erleichtert hatte und sie zu einer der meistgesuchten Kriminellen der US-amerikanischen Bundespolizei FBI wurde. Im Mai widmete auch die beliebte ZDF-Reihe »Aktenzeichen XY … ungelöst« Ignatova eine ganze Sendung.
Doof nur, daß das viele virtuelle Geld tatsächlich nie existierte, weil es die für Kryptowährungen benötigte Verschlüsselungstechnik der Blockchain nie gab. Laut FBI legte Ignatova, die die USA-Ermittler mittlerweile plastisch-chirurgisch stark verändert auf ihrer Yacht auf offenen Gewässern irgendwo im Mittelmeer vermuten, den Preis für ihren »OneCoin« einfach selber fest.
Als tatkräftigen Unterstützer der Krypto-Queen spätestens ab dem Jahr 2015 hat das FBI unter anderen den Luxemburger Frank Schneider und dessen »private Sicherheitsfirma« Sandstone ausgemacht. Laut dem im Juli 2013 von der offiziellen »Bommeleeër«-Enquetekommission veröffentlichten Bericht hatte Schneider, damals noch Leiter der operativen Abteilung beim Spitzeldienst SREL, schon bei der Gründung von Sandstone gezielt als geheim klassifizierte Dokumente genutzt und großzügige Geldspenden der Regierung für sein privates Unternehmen angenommen.
Auf Geheiß des FBI wurde Schneider, der im grenznahen Frankreich eine Villa hat, in Nancy verhaftet und in seinem luxuriösen Anwesen mit Fußfessel unter Hausarrest gestellt. Im Januar hat die französische Justiz entschieden, Schneider an die USA auszuliefern, wo er laut Emmanuel Marsigny, einem seiner Anwälte, wegen »Verschwörung zur Begehung eines elektronischen Betrugs« und wegen Geldwäsche angeklagt werden soll. Ihm drohen bis zu 40 Jahre Gefängnis.
Unterstützt von den Oppositionsparteien CSV und ADR hat Schneider, der sich in den vergangenen Monaten in zahlreichen Interviews als »lebenslangen Geheimnisträger« bezeichnet hat, Bettelbriefe an die luxemburgische Regierung geschrieben, sie möge bei der französischen Premierministerin Élisabeth Borne intervenieren, die seine Auslieferung an die USA noch absegnen muß. Doch Premier Xavier Bettel und seine Justizministerin Sam Tanson sehen dazu keinerlei Veranlassung. Der SREL-Mann, der hierzulande in allen Geheimdienstprozessen freigesprochen wurde, hat sich diesmal verrechnet. Das nennt man wohl unternehmerisches Risiko.