Ausland27. April 2022

Leere Worte

Armut, Hunger und Krieg treiben immer mehr Menschen zur Flucht über das Mittelmeer. Die »westliche demokratische Wertegemeinschaft« hat für sie nichts als Almosen übrig

von Karin Leukefeld, Beirut

Nur wenige Stunden bevor die deutsche Entwicklungshilfeministerin Svenja Schulze am Sonntag in der libanesischen Hauptstadt Beirut eintraf, ertranken mindestens sechs Menschen vor der Küste des Landes bei dem Versuch, Armut und Hunger zu entkommen.

Ein vermutlich mit mehr als 60 Personen völlig überladenes Schmugglerboot kenterte in der Nacht zum Sonntag vor der nordlibanesischen Küste. Nach Angaben von Überlebenden wurde das Boot gerammt, als es versuchte, zwei Schiffen der libanesischen Küstenwache zu entkommen.

Marinechef Haissam Dannaoui sagte vor Journalisten, das 10 Meter lange Schiff, das lediglich 6 Personen transportieren dürfe, sei nach einem Zusammenstoß innerhalb von Sekunden gesunken. Die Marine habe Schwimmwesten ins Wasser geworfen und 48 Personen retten können. Fünf Personen wurden tot aus dem Meer geborgen; ein Kleinkind, ein Mädchen, wurde tot an den Strand gespült.

Die Angehörigen versammelten sich laut einem Bericht eines Korrespondenten von AFP am Leichenhaus in Tripoli, wohin die Toten gebracht worden waren. Es kam zu zornigen Ausschreitungen. Die Schiffbrüchigen sollen aus dem Libanon und Syrien stammen, 33 Personen gelten nach Auskunft von Angehörigen als vermißt.

Das UNO-Flüchtlingskommissariat UNHCR registrierte zwischen Januar und November 2021 mindestens 1.570 Personen, die versuchten, den Libanon auf dem Seeweg in Richtung EU zu verlassen. Nur 186 der registrierten Personen waren Libanesen. Die meisten Menschen, die pro Person rund 2.000 US-Dollar für die unsichere Überfahrt auf einem Kutter in Richtung Zypern bezahlen, sind Syrer oder Palästinenser.

Nach Angaben der libanesischen Marine hat die Küstenwache in der zweiten Jahreshälfte 2021 mindestens 500 Flüchtlinge gestoppt, die über das Meer in die etwa 175 Kilometer entfernt liegende Republik Zypern aufgemacht hatten, ein EU-Mitgliedsland. Das Abfangen von Flüchtlingen aus dem Libanon erfolgt in Absprache mit der EU. Auch Deutschland unterstützt die libanesische Marine durch Ausbildung und mit Aufklärungstechnologie.

Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze war am Sonntag in Beirut eingetroffen, um sich bei einem Blitzbesuch über die Arbeit des Welternährungsprogramms der UNO (WFP) zu informieren. Nach Auskunft des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, besuchte die Ministerin ein WFP-Weiterbildungsprojekt, eine Bäckerei und einen Markt, auf dem das Projekt »Matbakh el Kell« (»Küche für alle«), täglich Hunderte Mahlzeiten kocht, die an Bedürftige verteilt werden. Die deutsche Bundesregierung unterstützt das Projekt finanziell. Nach BMZ-Angaben traf die deutsche Ministerin auch mit armen Familien aus dem Libanon und aus Syrien zusammen.

Im Namen der Bundesregierung stellte Frau Schulze dem WFP eine weitere Zahlung von 10 Millionen Euro für die weitere Arbeit im Libanon in Aussicht. Erst am Donnerstag vergangener Woche hatte die EU für das krisenzerstörte Land 20 Millionen Euro für humanitäre Hilfe zugesagt.

Svenja Schulze wies darauf hin, daß »Ernährungssicherheit ein zentraler Teil von Sicherheitspolitik« sei. Das werde im Libanon besonders deutlich. »Eine ohnehin schon schwierige Lage wird infolge des Kriegs in der Kornkammer der Welt noch dramatisch verschärft«, dozierte sie. Die Ministerin machte den russischen Präsidenten verantwortlich und sagte: »Putin nutzt auch Hunger als Waffe. Dem müssen wir uns entgegenstellen mit einer Politik für globale Ernährungssicherheit.«

Ein Blick auf die Liste der größten Weizenproduzenten der Welt zeigt allerdings, daß die »Kornkammer der Welt« vor allem China ist, gefolgt von Indien, Rußland, USA, Kanada und Frankreich. Die Ukraine steht an 7. Stelle.

Bei den Menschen, die seit Jahren mit Armut, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrisen und Hunger zu kämpfen haben, dürften die Äußerungen der deutschen Entwicklungshilfeministerin wenig Aufmerksamkeit erregt haben. Für diese Menschen geht es um eine Perspektive, sich und ihre Familien mit Arbeit, nicht mit Almosen zu ernähren.

Die Ministerin reiste am Montagmittag weiter nach Addis Abeba, wo sie am Dienstag die Afrikanische Union besucht.