Ausland26. März 2024

Vor 80 Jahren

Der Geiselmord in den Fosse Ardeatine bei Rom

Eines der barbarischsten Verbrechen des Besatzungsregimes Hitlerdeutschlands in Italien

von Gerhard Feldbauer


Anfang 1944 hatte die deutsche Besatzungsmacht in Italien einer Vereinbarung zugestimmt, Rom zur »offenen Stadt« zu erklären. Die Wehrmacht zog jedoch ihre Truppen nicht ab, worauf die Alliierten am 19. März 1944 einen schweren Luftangriff auf Rom flogen. Daraufhin beschloß der Militärausschuß des Nationalen Befreiungskomitees (CLN) unter Vorsitz Sandro Pertinis von der Sozialistischen Partei (mit Luigi Longo vom PCI) Oberbefehlshaber der Partisanenarmee, für den 23. März nachmittags einen Angriff auf eine deutsche Militärkolonne in der Via Rasella.

Mit dem Angriff wurden Angehörige der örtlichen Partisanen »Gruppen der Patriotischen Aktion« (GAP) beauftragt. Sie deponierten in einem Müllkarren eine präparierte Mörsergranate, die sie zündeten, als eine Kompanie des SS-Regiments Bozen (Südtirol) die Straße passierte. Anschließend eröffneten sie das Feuer. Bei dem Angriff kamen 33 SS-Leute ums Leben kamen.

Behauptungen rechter und faschistischer Kreise, der Angriff sei eine »illegitime Operation« gewesen, wies das Appellationsgericht von Rom 1954 zurück und entschied, es habe sich um eine in »voller Rechtmäßigkeit« durchgeführte »Aktion des Krieges« gehandelt.

Als Rache für den Partisanenangriff in der Via Rasella erteilte der Polizeichef von Rom, SS-Obersturmbannführer Herbert Kappler, die Anweisung, für jeden toten SS-Mann zehn Italiener zu erschießen – eine Maßnahme, die von Hitler sanktioniert wurde. Kappler meldete sich selbst zur Ausführung des Geiselmordes und führte dabei nicht, wie er 1947 im Prozeß behauptete, nur Befehle aus. Er war, wie der italienische Historiker Guido Gerosa in seinem Buch »Il Caso Kappler« (Mailand 1977) nachwies, »der große nazistische Kontrolleur des Terrors, der oberste Leiter der Vernichtung des jüdischen Ghettos«, ein »besonders fanatischer Nazi, der skrupellos wie ein wildes Tier mordete« und Hitler persönlich für »seine Emsigkeit und Dienstbeflissenheit« bekannt war.

Kappler holte mit seinem Stellvertreter, Sturmbannführer Erich Priebke, die Geiseln persönlich aus den Gefängnissen in Rom. Zum Exekutionskommando gehörten weiter Sturmbannführer Karl Haß und Hauptsturmführer Theodor Schütz. Die Opfer wurden, die Hände mit Stricken hinter dem Rücken zusammengebunden, auf Lastwagen in die Fosse Ardeatine an der Via Appia Antica bei Rom transportiert, wo sie in die Sandsteinhöhlen hinunter getrieben, dort in Gruppen zu fünf Mann niederknien mußten und auf Kommando durch Genickschüsse abwechselnd von den etwa 80 bis 90 SS-Leuten des Kommandos umgebracht wurden.

Die nächsten Opfer mußten auf die vorher Erschossenen steigen. Die Wartenden hörten während der etwa fünf Stunden dauernden Exekution die Schüsse. Um seine Leute anzufeuern, erschoß Kappler selbst mehrere Geiseln. Es wurde nicht kontrolliert, ob die Opfer tot waren. Bei den Bergungen nach 1945 wurden bei einem Opfer einige Notizen gefunden, die zeigten, daß es lebendig Begrabene gab. Zum Ende des Massakers stellte sich heraus, daß zwei Personen »zu viel« zusammengetrieben worden waren. Man wollte sie – auch als Mitwisser – nicht am Leben lassen und brachte sie über die festgelegt Zahl von je zehn Geiseln für einen der 33 getöteten SS-Männer noch um. Nach Abschluß des Massakers wurden die Höhlen gesprengt.

»Ein bestialisches Verbrechen«

Roberto Battaglia und Giuseppe Garritano schrieben in »Der italienische Widerstandskampf 1943 bis 1945« (Berlin/DDR 1964), Opfer dieses »bestialischen, in jeder seiner einzelnen Handlungen unmenschlichen Verbrechens« wurden »Menschen der verschiedenen Richtungen, Klassen und Altersstufen, die noch in ihrem Tode ein Zeugnis von der Einheit ablegten, die die Italiener im Befreiungskampf zusammenschloß«.

Schulter an Schulter fielen der kommunistische Professor Gioacchino Gesmundo und der Oberst Montezemolo, Organisator des Widerstandes in Militärkreisen, Professor Pilo Albertelli von der radikaldemokratischen Aktionspartei und General Simoni, Held des Ersten Weltkrieges, General Fenulli, stellvertretender Kommandeur der Division »Ariete«, die im Herbst 1943 der Okkupation der Hitlerwehrmacht entgegengetreten war, der Arbeiter Valerio Fiorentini, der den Widerstand in den Städten organisiert hatte.

Insgesamt waren 77 Arbeiter, 57 Angestellte oder Beamte, 54 Angehörige kaufmännischer Berufe, 38 Offiziere, darunter fünf Generale, 17 Straßenhändler, zwölf Bauern, zwölf Rechtsanwälte, neun Studenten, acht Künstler, sechs Architekten und Ingenieure, fünf Professoren bzw. Lehrer, fünf Industrielle, fünf Soldaten, vier Metzger, drei Ärzte, ein Bankkaufmann und ein Priester ermordet worden. Der jüngste Tote war 15 Jahre alt, der älteste 74.

Bestialische Verbrechen wie in den Fosse Ardeatine fanden außerdem an vielen anderen Orten statt, wie in der Gemeinde Marzabotto, wo 1.830 Bewohner viehisch umgebracht wurden. In Mailand war SS- Hauptsturmführer Savaecke für die Ermordung von über 2.000 Juden und Widerstandskämpfern verantwortlich.

Flucht in die Bundesrepublik

Der für Geiselerschießungen verantwortliche Befehlshaber für Italien, Feldmarschall Kesselring, wurde 1947 von einem britischen Militärgericht auch wegen des Massakers in den Ardeatinischen Höhlen zum Tode verurteilt, später wurde das Urteil in lebenslang umgewandelt. Bereits 1952 kam er frei. Im Prozeß sagte Kesselring aus, daß mit den Geiselerschießungen nach dem Überfall in der Via Rasella auch der römischen Widerstandsbewegung »ein entscheidender Stoß« versetzt werden sollte.

Kappler wurde von einem römischen Militärgericht 1948 wegen der Geiselerschießungen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er in Italien antreten mußte. Im Sommer 1977 verhalfen deutsche und italienische Gesinnungskomplizen ihm zur Flucht in die Bundesrepublik Deutschland, wo der Kriegsverbrecher von seinen Anhängern frenetisch gefeiert wurde. Die Justizbehörden verweigerten eine von Rom geforderte Auslieferung. Gerosa und italienische Zeitungen verwiesen damals darauf, daß seit den Zeiten von Bundeskanzler Konrad Adenauer führende Politiker der Bundesrepublik, darunter 232 Bundestagsabgeordnete und Mitglieder der damaligen Bundesregierung, die Freilassung Kapplers gefordert hatten.

Der an dem Geiselmord beteiligte Theodor Schütz wurde 1950 in der Bundesrepublik Deutschland als Mitläufer »entnazifiziert«. 1952 übernahm ihn die Organisation Gehlen, der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, in dem er seine Karriere fortsetzte. Reinhard Gehlen empfahl ihn als »charakterlich einwandfreie, ausgereifte, sensible Persönlichkeit«, die »jederzeit ein Vorbild« gewesen sei. Als sich der BND später von allzu belasteten Mitarbeitern aus der Nazizeit trennen mußte, wurde Schütz 1964 entlassen und erhielt eine Abfindung von 70.000 DM.

Der am Massaker beteiligte Karl Haß lebte unter falschem Namen in Italien. Nach seiner Entdeckung verurteilte ihn ein Militärgericht in Rom 1998 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die in Hausarrest umgewandelt wurde. Er starb 2004. Erich Priebke hatte der Vatikan auf der sogenannten »Rattenlinie« zur Flucht nach Argentinien verholfen, wo er fünfzig Jahre unbehelligt lebte. In der BRD war ein Verfahren gegen den Kriegsverbrecher bereits 1977 eingestellt worden. 1996 wurde er in Argentinien entdeckt und an Italien ausgeliefert, wo er 1998 eine lebenslange Haftstrafe erhielt, die in Hausarrest umgewandelt wurde, in der er 2013 verstarb

In den Fosse Ardeatine wurde am 24. März 1949 ein Denkmal und Mausoleum eröffnet, in dem die Gebeine der Toten beigesetzt sind. In einem Pinienhain oberhalb der Gedenkstätte würdigt ein Museum des italienischen Widerstands den Befreiungskampf und Sieg des italienischen Volkes über die deutsche Besatzung und den italienischen Faschismus.

Das Massaker wurde mehrfach in Filmen gestaltet, so 1973 von dem italienischen Regisseur George P. Cosmatos in einer italienisch-französischen Co-Produktion, die in der BRD als »Das Massaker in Rom – der Fall Kappler« mit Richard Burton in der Hauptrolle herauskam. Der Abspann nennt alle Namen der Opfer mit Alter und Berufsstand.