Libanon hat gewählt
Stimmauszählung verzögert sich wegen Strommangel
An guten Ratschlägen und Aufforderungen, sich an den diesjährigen Parlamentswahlen zu beteiligen, hat es den libanesischen Wählern am Sonntag nicht gefehlt. Knapp 4 Millionen Libanesen waren zu den Parlamentswahlen in 15 Wahlbezirken registriert. Auslandslibanesen hatten bereits vor einer Woche gewählt. Als die Wahllokale um 19 Uhr nach zehn Stunden schlossen, lag die durchschnittliche landeweite Wahlbeteiligung bei knapp 40 Prozent.
Beobachter meldeten eine hohe Wahlbeteiligung der schiitisch-muslimischen Bevölkerung mit teilweise mehr als 50 Prozent im Südlibanon und in der Bekaa-Ebene. Die durchschnittliche Wahlbeteiligung der christlichen Wähler wurde mit rund 22 Prozent angegeben.
Anders die Beteiligung der sunnitisch-muslimischen Wähler, die nach dem Rückzug von Saad Hariri aus der Politik und der überraschenden Auflösung der von Hariri geführten Mustakbal Partei (Zukunftspartei) deutlich geschwächt waren. In den Wahlbezirken im Nordosten Libanons (Bekaa, Hermel) wurde bei den sunnitisch-muslimischen Wählern nur eine Wahlbeteiligung von 4 Prozent registriert. In Teilen der Hauptstadt Beirut dagegen waren schon am frühen Sonntagmorgen lange Schlangen vor den Wahlzentren für sunnitisch-muslimische Wähler zu beobachten.
Hariri ruft zu Wahlboykott auf
Im Bezirk von Tarik al Jdeideh, einer Hochburg von Wählern und Anhängern Hariris, beobachtete die Autorin derweil eine Gruppe junger Männer, die dem Aufruf Hariris gefolgt waren und zu einem Wahlboykott aufriefen. Sie hatten einen Swimmingpool auf einer der Hauptstraßen des Viertels aufgebaut, in dem Kinder und Jugendliche plantschten. Laute Musik tönte aus großen Lautsprechern, über die Aufrufe zum Wahlboykott und Sympathiebekundungen für Saad Hariri verbreitet wurden. Immer wieder ertönte der Ruf »Hariri Allah«, während die libanesische Hisbollah und deren Generalsekretär Hassan Nasrallah massiv beschimpft wurden. Allerdings waren Sicherheitskräfte in Zivil zu beobachten, die die Veranstalter des Wahlboykott-Swimingpool-Events direkt ansprachen, um sie zur Mäßigung aufzufordern, was sie auch befolgten.
Passanten, die das Spektakel beobachteten waren geteilter Meinung zu dem Boykottaufruf. Hariri müsse zurückkommen, er sei der einzige, den sie wählen könne, sagte eine Frau. Eine andere Frau meinte, Hariri sei für sie »der Größte«, aber sie habe trotz seiner Abwesenheit eine andere Liste gewählt. Ein junger Mann zeigte sich begeistert und sagte, er und seine Familie unterstützten den Boykottaufruf. Ein älterer Mann sagte kopfschüttelnd: »Wählen ist eine Pflicht. Sonst verlieren wir unser Land.«
Hariri, der auch die saudische Staatsangehörigkeit hat und bisher – wie sein Vater Rafik Hariri – von Saudi-Arabien unterstützt worden war, hat sich inzwischen in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Abu Dhabi zurückgezogen.
Kein Mangel an guten Ratschlägen
An guten Ratschlägen und Wahlaufrufen an die Libanesen hatte es noch am Wahltag nicht gemangelt. »Wählen ist Pflicht«, hatte früh am Morgen Präsident Michel Aoun erklärt, als er im Südbeiruter Stadtteil Haret Hreik seine Stimme abgab. „Wähle den, der deine Rechte bewahrt«, teilte kurz darauf sein Schwiegersohn Gibran Bassil mit, der sowohl Abgeordneter als auch Vorsitzender der Freien Patriotischen Bewegung (FPM) ist. »Wähle den, der verhandeln will, nicht denjenigen, der spaltet.« Innenminister und Richter Bassam Mawlawi rief ebenfalls dazu auf, an den Wahlen teilzunehmen und bezeichnete den Wahltag als einen »Tag, der alles verändern kann.«
Was in einigen anderen Ländern möglicherweise zu einer Protestnote wegen Einmischung in die inneren Angelegenheiten oder der Einbestellung der Botschafter geführt hätte, schien für die die Chefs der deutschen und der französischen diplomatischen Vertretung im Libanon kein Problem zu sein. Die französische Botschafterin Anne Grille forderte die Libanesen auf, wählen zu gehen, um ihre Rechte und Erwartungen an das Parlament zu verteidigen. Die Libanesen hätten »Gelegenheit für diejenigen zu stimmen, die sie im Parlament vertreten« sollten, sagte Grillo in einer Erklärung an ihre »libanesischen Freunde«.
Auch der deutsche Botschafter Andreas Kindl in Beirut wandte sich per Twitter an seine »libanesischen Freunde« und erklärte, daß der Wahltag »wichtig für die Zukunft Eures Landes« sei. »Libanesische Frauen! Libanesische Ehemänner, Väter von Töchtern, Brüder von Schwestern«, schrieb Kindl am Vortag der Wahlen. »Nutzen Sie ihre Vorzugsstimme, um weibliche Kandidaten zu unterstützen! Wählen Sie diejenigen, die die Nöte, Interessen und Forderungen der Frauen verstehen! #WähltGleich #WähltdenWandel#«, hieß es auf dem Twitter-Account des deutschen Botschafters in Beirut.
Das libanesische Wahlrecht sieht vor, daß Wähler eine Liste und – mit einer Vorzugsstimme – eine einzelne Person dieser Liste wählen kann.
Am Montagmittag lagen noch keine verwertbaren Ergebnisse vor. Beobachter erwarteten ein Endergebnis der Wahlen nicht vor Montagabend oder Dienstagmorgen. Grund dafür sei nicht zuletzt der Mangel an Strom, der die Auszählung verzögere. Die EU-Beobachterdelegation in Beirut hat für Mittwochvormittag eine Pressekonferenz angekündigt.