Ausland30. März 2021

Kein Lockdown für Militärs

USA-Streitkräfte haben Details zum Großmanöver »Defender Europe 21« bekanntgegeben

von German Foreign Policy

Die Verlegung von USA-Truppen nach Europa im Rahmen des Großmanövers »Defender Europe 21« ist eingeleitet worden. Demnach werden Tausende USA-Soldaten im April in Europa eintreffen, um in Richtung russische Grenze zu marschieren.

An Rußlands Südwestflanke

Die USA-Streitkräfte haben vor einigen Tagen neue Details zum diesjährigen Großmanöver »Defender Europe 21« bekanntgegeben. Demnach nehmen mehr als 30.000 Soldaten aus 26 Ländern an der Kriegsübung teil, darunter neben 21 NATO-Staaten auch Bosnien-Herzegowina und das Kosovo, die Ukraine und Moldawien sowie Georgien. Die zunächst verbreitete Behauptung, auch Armenien sei eingebunden, trifft nicht zu: Wie das armenische Kriegsministerium bestätigt, beteiligt sich das Land nur dann an multinationalen Manövern, wenn diese der »Aufrechterhatung des internationalen Friedens und der Stabilität« dienen.

Dies aber ist bei »Defender Europe 21« erkennbar nicht der Fall. Die deutsche Bundeswehr stellt dieses Jahr 430 Soldaten. Im Kern geht es bei dem Manöver – wie bei »Defender Europe 20« – darum, die Überführung einer großen Anzahl USA-Soldaten nach Europa und dann weiter in Richtung russische Grenze zu proben, wobei der Schwerpunkt – im Unterschied zu 2020 – nicht auf Rußlands nordwestlicher, sondern auf seiner südwestlichen Flanke liegt: in Südosteuropa und am Schwarzen Meer. Dies ist der Grund, weshalb die Beteiligung der Frontstaaten Ukraine und Georgien dieses Jahr ganz besondere Bedeutung hat.

Die Truppenverlegung

Aktuell ist laut USA-Berichten die Verlegung von US-amerikanischen Truppenverbänden über den Atlantik nach Europa eingeleitet worden. Zu den fünf Ländern, in deren Häfen USA-Truppen anlanden oder aus denen sie später wieder ablegen sollen, gehört Deutschland; die vier anderen liegen diesmal am Mittelmeer: Slowenien, Kroatien, Albanien, Griechenland.

Auf dem Kontinent angekommen, wird ein Teil der Einheiten Kriegsgerät aufnehmen, das in großen USA-Waffenlagern (Army Prepositioned Stock, APS) gehortet wird; Zweck des APS ist es, im Ernstfall die benötigten Rüstungsgüter bereits in Europa zur Verfügung zu haben und nur noch die Truppen einfliegen zu müssen. In diesem Jahr ist die Verwendung von APS aus Eygelshoven (Niederlande), aus Italien (Livorno) sowie aus Deutschland geplant. Anschließend ist die Weiterverlegung in Richtung Osten bzw. Südosten vorgesehen; die Routen sind im Detail noch nicht bekannt. Allerdings ist Deutschland eines der Länder, deren Truppenübungsplätze bei »Defender Europe 21« für Teilübungen genutzt werden.

Mit scharfem Schuß

Nach der Truppenverlegung, die vorwiegend im April stattfinden wird, sind im Mai Teilmanöver auf über 30 Trainingsarealen in zwölf Ländern geplant. Acht Länder liegen in Südosteuropa und erstrecken sich von Kroatien über weitere Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie Albanien bis Rumänien, Bulgarien und Griechenland. Wie bereits im vergangenen Jahr sehen die Pläne vor, größere Manöver, die schon seit längerer Zeit jährlich abgehalten werden, in »Defender Europe 21« einzubinden; dabei handelt es sich zum Beispiel um »Swift Response«, eine Luftlandeübung, die dieses Jahr mit mehr als 7.000 Soldaten aus elf Ländern in Rumänien und Bulgarien sowie in Estland stattfinden soll, und um »Saber Guardian«, ein Teilmanöver, bei dem mehr als 13.000 Soldaten aus 19 Ländern mit scharfem Schuß trainieren und Operationen zur Luft- und Raketenabwehr sowie eine medizinische Evakuierung im großen Stil proben.

Nicht formell ein-, aber doch angegliedert ist das seit knapp zwei Jahrzehnten abgehaltene Manöver »African Lion«, das auf eine Kooperation der Streitkräfte der USA und Marokkos zurückgeht; an der Übung sind knapp 5.000 Soldaten beteiligt. Im Juni soll eine Simulationsübung die Führung von Truppen in über 100 Ländern auf zwei Kontinenten proben, bevor die USA-Militärs zurückverlegt werden.

Die NATO im Schwarzen Meer

In der Schwarzmeerregion, die – zusammen mit Südosteuropa – den Schwerpunkt des diesjährigen Manövers bildet, baut die NATO ihre Präsenz seit geraumer Zeit ähnlich wie im Baltikum aus. So ist im rumänischen Craiova eine multinationale NATO-Brigade stationiert. Von der Air Base Mihail Kogălniceanu bei Constanţa aus führen NATO-Flugzeuge regelmäßige Patrouillenflüge (»Air Policing«) durch. Darüber hinaus intensiviert das westliche Militärbündnis seine Marinepräsenz. Diese muß den Vertrag von Montreux aus dem Jahr 1936 berücksichtigen, der den Zugang zum Schwarzen Meer durch die Dardanellen, das Marmarameer sowie den Bosporus regelt: Demnach dürfen sich Kriegsschiffe aus Nicht-Anrainerstaaten maximal 21 Tage lang im Schwarzen Meer aufhalten; Überwasserkriegsschiffe mit einer Verdrängung von über 10.000 Tonnen, Flugzeugträger und U-Boote von Nicht-Anrainerstaaten sind prinzipiell nicht zur Einfahrt in das Gewässer zugelassen.

Dennoch operieren, wie die NATO berichtet, die Marinen ihrer Mitgliedstaaten insgesamt über zwei Drittel des Jahres im Schwarzen Meer; auch die NATO selbst weitet aktuell die Präsenz ihrer Marineverbände aus. Dem Kriegsbündnis gehören drei Anrainerstaaten (Rumänien, Bulgarien, Türkei) an; zwei weitere sind enge Verbündete (Ukraine, Georgien).

An beiden Fronten zugleich

»Defender Europe 21« wird ungeachtet der sowohl in den USA wie auch in Europa unvermindert wütenden Covid-19-Pandemie abgehalten. Während die Freizügigkeit in der EU für Zivilpersonen empfindlich eingeschränkt ist, haben involvierte Militärs freie Fahrt. Während Impfdosen in der EU selbst für Risikogruppen weiterhin Mangelware sind, wurden USA-Einheiten, die an dem Manöver beteiligt sind, bereits zum zweiten Mal geimpft. Und während es der deutschen Bundesregierung bis heute nicht gelingt, eine auch nur halbwegs genügende Menge an Impfdosen zu beschaffen, finanziert sie »Defender Europe 21« mit 2,9 Millionen Euro sowie weitere Manöver ebenfalls mit Millionensummen; insgesamt veranschlagt das Berliner Armeeministerium die Mittel, die dieses Jahr für Kriegsübungen ausgegeben werden, auf rund 164,5 Millionen Euro.

Dazu zählt erstmals auch die Entsendung eines deutschen Kriegsschiffs in das Südchinesische Meer: Während sich die NATO und ihre Mitgliedstaaten dort gegen China in Stellung bringen, proben sie in den nächsten Wochen und Monaten den Aufmarsch gegen Rußland; sie operieren inzwischen gegen beide Mächte, an beiden Fronten zugleich.