Der Zug fährt in Richtung Liberalisierung
Die Liberalisierung im Eisenbahnbereich, welche die EU-Kommission seit Anfang dieses Jahreshunderts im Interesse großer Kapitalgesellschaften betreibt, geht weiter. Nach der vollständigen Liberalisierung des Güterverkehrs und des grenzüberschreitenden Personenverkehrs, soll nun der schienengebundene Personenverkehr auf nationaler Ebene liberalisiert werden.
Öffentlich begründet wurde die Liberalisierung von Anfang an mit mehr Wettbewerb, Innovation, höheren Sicherheitsstandards und größeren Fahrgastrechten. Hinter dieser propagandistischen Nebelwand geht es allerdings einzig und allein darum, die Bedingungen im Eisenbahnverkehr so zu gestalten, dass große Transportkonzerne Maximalprofite machen können. Das heißt, dass auf dem Weg zu diesem Ziel nach und nach alle Hindernisse beseitigt werden sollen.
Es dauerte lange, bevor vielen Schaffenden klar wurde, dass die Liberalisierung – ganz egal wie schmackhaft sie dargestellt wurde – und die oft mit ihr daher gehenden Privatisierung immer negative Auswirkungen für die abreitenden Menschen und die Allgemeinheit haben.
Als die Liberalisierung des schienengebundenen Güterverkehrs und 2006 die Teilprivatisierung des CFL-Gütertransports erfolgte, war der Widerstand dagegen schwach, auch seitens der Gewerkschaften.
Wenige Jahre zuvor hatte der damalige Luxemburger Premierminister in einem seiner lichten Momente die Taktik der verschiedenen EU-Gremien wie folgt beschrieben: »Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.« (»Der Spiegel« vom 27. Dezember 1999, Seite 136)
Das ist bis heute die Taktik der Liberalisierer, die ihrem Ziel Stück für Stück näher kommen, weil konservative, liberale, sozialdemokratische und grüne Parteien auf EU-Ebene »Kompromisse« schließen und der konsequente Widerstand gegen Liberalisierung und Privatisierung nicht stark und nicht einig genug ist.
Das trifft auch auf das vierte Eisenbahnpaket zu, auf das sich diese Woche die Transportminister der EU-Länder einigten.
Die vollständige Liberalisierung und die Zerschlagung der integrierten Eisenbahnunternehmen in öffentlicher Hand, wie sie die EU-Kommission bis 2019 durchsetzten wollte, wird es während der nächsten Jahre zwar so nicht geben, und kleine Staaten sollen weiterhin, wenn auch unter strengen Auflagen, öffentliche Dienstleistungsaufträge direkt vergeben dürfen, aber der Liberalisierungswahn wird weitergehen.
Spätestens 2022 werden sich die Großunternehmen die lukrativen Strecken im Hochgeschwindigkeitsbereich herauspicken dürfen, während unrentablen Strecken das definitive Aus drohen wird.
Abzusehen ist zudem, dass die wachsende Zahl der Ausschreibungen noch weitaus negativere Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungen der Eisenbahner, auf die Sicherheit und auf die Zugbenutzer haben wird. Und damit riskiert auch die Zielsetzung, die Schiene gegenüber dem Straßenverkehr wieder attraktiver zu machen, den Bach hinunterzugehen.
Dagegen hilft nur heftiger Widerstand der Gewerkschaften und der Schaffenden, unabhängig davon, ob sie aus dem Eisenbahnsektor kommen und Zugbenutzer sind oder nicht.
Andernfalls wird der Zug unaufhaltsam weiter in Richtung Liberalisierung fahren.
Ali Ruckert