Kiewer Kaspertheater
Farce in drei Akten: Selenski bekämpft die Korruptionsbekämpfung, bis die EU droht
Erster Akt: Am Montag, dem 21. Juli, schickt Selenski seinen Geheimdienst SBU und die Generalstaatsanwaltschaft den NABU- und SAP-Beamten mit etwa 80 Hausdurchsuchungen auf den Hals. Die Aktion richtet sich vor allem gegen den Ermittler, der sich um Tschernischow kümmert. Begründung: »Russischer Einfluß«. Am Abend verkündete der SBU, er habe bei NABU »einen russischen Spion festgenommen«. Selenski hat sich, seine Freunde und die Ukraine vor einer weiteren finsteren Machenschaft Wladimir Putins bewahrt.
Zweiter Akt: Am 22. Juli vormittags läßt Selenski das Parlament in Kiew mit den Stimmen vor allem seiner Partei »Diener des Volkes« im Schweinsgalopp ein Gesetz beschließen, das er unverzüglich unterzeichnet: NABU und SAP werden dem Generalstaatsanwalt unterstellt, der wiederum von Selenski ernannt wird. NABU-Chef Kriwonos: »Heute wurde mit den Stimmen von 263 Abgeordneten die Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung zerstört.«
Die EU-Chefs wissen vorab Bescheid, sie bezahlen schließlich alles in der Kiewer Regierung. Frankreichs Präsident Macron soll bei Selenski angerufen haben, um das Gesetz zu verhindern, aber für den geht es offenbar um zu viel Kohle. Erweiterungskommissarin Marta Kos spricht unmittelbar nach der Abstimmung in Kiew von einem »ernsthaften Rückschritt« auf dem Weg der Ukraine zu einem EU-Beitritt.
Am Abend tritt die »Zivilgesellschaft«, die Heldin aller westlichen Staats- und Konzernmedien, in Kiew auf den Plan. EU und NATO haben langjährige Erfahrungen mit deren Mobilisierung, nicht zuletzt in Kiew selbst, wo sie 2013 den »Euro-Maidan« und den Putsch vom Februar 2014 organisierten und finanzierten. Am Abend versammeln sich mehrere Hundert vor allem junge Menschen in Sichtweite des Präsidentensitzes in Kiew, um gegen das Gesetz zu protestieren, und rufen »Schande, Schande«. Auch in Lwow, Odessa und Dnjepropetrowsk gibt es Proteste.
Dritter Akt: Am 23. Juli tritt Selenski die Flucht nach vorn an. Er empfängt am Vormittag die Chefs von NABU, SAP sowie vom SBU und der Generalstaatsanwaltschaft und schreibt auf Telegram, bei dem »offenen und hilfreichen« Treffen sei die Ausarbeitung eines Aktionsplans beschlossen worden. Am Abend gibt es erneut in mehreren Städten Proteste und Selenski kündigt in seiner allabendlichen Videobotschaft ein neues Gesetz zur Funktion von Antikorruptionsorganen an. Es werde die Antwort auf alle Sorgen der Demonstranten sein und die Unabhängigkeit der Behörden gewährleisten. Er wirft NABU und SAP erneut »russischen Einfluß« vor.
Am 24. Juli teilt er online mit, er habe den neuen Gesetzentwurf gerade gebilligt und dem Parlament eingereicht. Die EU-Kommission äußert sich hocherfreut, aber am Abend kommt es erneut zu Protesten in mehreren Städten. Daraufhin kündigt Selenski an, daß alle Mitarbeiter mit Zugang zu Staatsgeheimnissen regelmäßigen Lügendetektortests unterzogen werden.
Am Dienstag, dem 29. Juli, berichtet die FAZ unter der Überschrift »Ein böser Brief aus Brüssel«, die EU-Kommission habe nach den Aktionen gegen NABU und SAP vom 21. Juli gedroht, die Finanzhilfen für Kiews Staatshaushalt aus der »Ukraine-Fazilität« in Höhe von 50 Milliarden Euro bis 2027 »vollständig einzustellen«.
Das Parlament teilt mit, daß es am 31. Juli über das neue Gesetz abstimmen will. Das ist inzwischen erfolgt, das neue Gesetz hat die Rada passiert und des Präsidenten Unterschrift erhalten. Der Kasper von Kiew hat sofort pariert. Die »Zivilgesellschaft« wird nicht mehr benötigt.