Worum geht es in Suweida?
Kämpfe in südsyrischer Provinz gehen weiter
Die Lage in der syrischen Provinz Suweida hat sich nach Angaben von USA-Außenminister Marco Rubio beruhigt. Das »syrische Militär« habe sich aus dem Drusengebiet zurückgezogen. Daß Rubio aus dem entfernten Washington per Telefon eine Waffenruhe ausgehandelt haben will, deutet darauf hin, daß die USA, Israel und der selbsternannte »Interimspräsident« Ahmed al-Sharaa vermutlich in ein Vorhaben eingeweiht waren, das allerdings anders ablaufen sollte.
Die offizielle Darstellung ist, daß »sunnitische Beduinenstämme« am vergangenen Sonntag Drusen überfallen haben sollen, die auf dem Weg von Suweida nach Damaskus waren. Die Drusen hätten sich gewehrt, daraufhin sei die »syrische Armee« – ein Gemisch aus ehemaligen Kämpfern der Nusra Front, Hay’at Tahrir al-Sham und extremen dschihadistischen Kämpfern – interveniert. Ihr Befehl lautete, die Drusen vor den Beduinenstämmen zu schützen, hieß es aus dem »Verteidigungsministerium« in Damaskus. Doch ob absichtlich oder aus Unkenntnis der Lage, marschierten die Truppen in Suweida ein, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Süden des Landes, auch Jbeil Ali genannt und seit Jahrhunderten Heimat der syrischen Drusen.
Hier begannen sie, die Drusen in ihren Häusern, Geschäften, auf ihren Feldern, in Gotteshäusern und Kirchen anzugreifen und zu ermorden. Familien, deren Kinder in Damaskus studieren, berichten, extremistische dschihadistische Kämpfer in Uniformen der syrischen Armee seien in die Häuser eingedrungen, hätten gestohlen, Feuer gelegt und Menschen erschossen. Im Krankenhaus von Suweida wurden zwei der vier diensthabenden Ärzte, Talaat Amer und Faten Hilal, ermordet, wurde über ein Netzwerk syrischer Mediziner im Land bekannt.
Über das Netzwerk »SOS Christen im Orient« wurde bekannt, daß im Ort Al Soura al-Kabira 38 Häuser christlicher Familien angezündet worden seien. Etwa 70 Personen aus dem Ort hätten in der Kirche von Shahba Zuflucht gefunden. Die Bewohner Al Souras seien arm gewesen, berichtete ein Augenzeuge der Organisation »Kirche in Not«. Nun hätten sie alles verloren. Auch die melkitisch-griechisch-katholische Kirche St. Michael in Al Soura sei in Brand gesetzt worden, hieß es in der Mitteilung von »SOS Christen im Orient«. Der Mitteilung beigefügt waren erste Bilder aus dem verwüsteten Gotteshaus.
Während die Nachrichten von Angriffen und Morden international bekannt wurden, machten sich Drusen aus der Stadt und der Umgebung von Majdal Shams, in den von Israel besetzten syrischen Golanhöhen, auf den Weg in Richtung Suweida, um ihren bedrängten Brüdern und Schwestern zu helfen. Israelische Medien berichteten, die Menschen seien erst zurückgewichen, als israelische Besatzungstruppen Platzpatronen und Tränengas gegen die Menschenmenge eingesetzt hätten. Tatsächlich wichen sie aber wohl erst zurück, als sie hörten, daß die israelischen Luftstreitkräfte zugunsten der syrischen Drusen eingreifen würden.
Es wurde bekannt, daß israelische Kampfjets Panzer der syrischen Armee bombardierten. Die israelischen Luftstreitkräfte gingen sogar so weit, in Damaskus anzugreifen. Ziele waren das Verteidigungsministerium und andere Einrichtungen der Armee am dichtbefahrenen Ommayyaden-Platz sowie unweit der Mezzeh-Hauptstraße und in direkter Nachbarschaft des Gebäudes der Studentenunion. Livemitschnitte des syrischen Fernsehens und des katarischen Nachrichtensenders Al Jazeera aus Damaskus zeigten Reporter vor der Kamera, während hinter ihnen Raketen einschlugen.
Al-Sharaa ordnete den sofortigen Rückzug der Armee aus Suweida an und versprach, die Sicherheit der Drusen in Syrien habe fortan Priorität. Berichten zufolge sollen die Täter der Massaker in Damaskus vor ein Militärgericht gestellt werden.
Hintergrund der Ereignisse dürfte eine israelisch-syrische Vereinbarung sein, die zwei Tage vor Beginn der Angriffe in Suweida in der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku geschlossen wurde. Offiziell traf an diesem Tag der syrische »Interimspräsident« mit Ilham Alijew zusammen, dem aserbeidschanischen Präsidenten. Am Rande dieser Begegnung fand hinter verschlossenen Türen ein Treffen zwischen dem syrischen »Außenminister« Assad al-Shibani, Kampfgefährte von al-Sharaa seit der gemeinsamen Gründung der Al-Qaida-nahen Nusra Front (2012), Mitarbeitern der neuen syrischen Geheimdienstkräfte und israelischen Geheimdienstmitarbeitern statt. Das Treffen war von den USA vermittelt worden. Israel verlangte eine entmilitarisierte Zone im Süden, in den Provinzen Suweida, Deraa und Qunaitra. Shibani soll dem zugestimmt haben. Israel sagte im Gegenzug zu, die Regierung von Al-Sharaa zu stabilisieren. Vereinbart wurde, daß die syrische Armee Suweida einnehmen und kontrollieren sollte, um die Autonomiebestrebungen der Drusen einzudämmen.
Der Einmarsch fand jedoch unkoordiniert statt, ungefähr 350 Menschen wurden getötet, überwiegend Drusen. Israel startete die Luftangriffe, um die eigene Rolle und Forderungen einerseits zu bekräftigen, andererseits sollte die – mit Wissen der USA-Administration getroffene – Vereinbarung mit Al-Sharaa möglichst nicht öffentlich bekannt werden.