Ausland14. August 2021

Die »Midas-Verschwörung«

Wie die faschistische Putschisten-Loge P2 Bettino Craxi 1976 an die Spitze der Sozialistischen Partei hievte und zu einem neuen Mussolini aufbauen wollte

von Gerhard Feldbauer

Zu der tiefen Krise, in der sich heute die gesamte Linke in Italien befindet, haben die Renegaten in der Italienischen Sozialistischen Partei (PSI) ihr gerüttelt Maß beigetragen. Die reaktionäre Wende wurde in der PSI mit jener »Midas-Verschwörung« auf dem vom 13. bis 15. Juli 1976 tagenden Parteitag eingeleitet, auf dem Bettino Craxi, seit 1972 stellvertretender PSI-Sekretär, Partei-Chef Francesco De Martino stürzte und sich selbst an die Parteispitze putschte.

Im November desselben Jahres wurde Craxi auch noch Vice der Sozialistischen Internationale, in der er bald zu den engen Freunden des früheren westdeutschen Bundeskanzlers Willy Brandts gehörte.

Die Bezeichnung der Verschwörung war dem Namen des luxuriösen Hotels in Rom entöehnt, in dem die Tagung stattfand. Während meiner Arbeit als Korrespondent der Nachrichtenagentur ADN der DDR 1973-79 habe ich den Verlauf und die Folgen des Kongresses verfolgt (nachzulesen in »Umbruchsjahre in Italien«, PapyRossa Verlag Köln 2019).

Antikommunistische Linie

Francesco De Martino hatte als Nachfolger von Pietro Nenni seit 1963 die PSI auf einen zwar gemäßigten, aber doch immer noch linken Kurs gehalten und die von Aldo Moro, dem linksliberalen Führer der Democrazia Cristianan (DC) angestrebte Einbeziehung der Kommunistischen Partei (PCI) in die Regierung unterstützt. Damit war unter Bettino Craxi Schluß. Er brachte die Partei binnen kurzer Zeit auf eine stramm nach rechts ausgerichtete, wenn auch zunächst noch demagogisch »links« getarnte antikommunistische Linie.

Die Inszenierung des Coups von Bettino Craxi stammte von der vom US-amerikanischen Geheimdienst CIA Anfang der 1970er Jahre in Italien gebildeten faschistischen Putschisten-Loge »Propaganda due« (P2). Der Loge gehörte eine illustre Versammlung prominenter Personen an: 47 Großindustrielle, 119 Bankiers und Leute der Hochfinanz, 42 Generäle, darunter die gesamte Führungsspitze der Geheimdienste der letzten 30 Jahre, der komplette Generalstab des Heeres, etwa 400 hohe Offiziere, drei Minister der amtierenden Regierung, drei Staatssekretäre, 18 hohe Justizvertreter, 22 Spitzenjournalisten, darunter ein Chefredakteur der staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalt RAI, 38 Parlamentarier aus Regierungsparteien und aus dem faschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI).

»Demokratische Wiedergeburt«

Mit diesen Personen plante die P2 einen als »Demokratische Wiedergeburt« getarnten Staatsstreich zur Errichtung eines faschistischen Regimes, scheibt Sergio Flamigni in »Trame atlantiche. Storia della Logia massonica segreta P2« (Mailand 1996). Die P2 hievte Bettino Craxi an die Spitze der PSI, um ihn gegen die Kommunisten in Stellung zu bringen.

Die PCI war im Juni 1976 bei den Parlamentswahlen mit 34 Prozent Wählerstimmen zweitstärkste Partei geworden und wollte gegen die faschistische Gefahr ein Regierungsbündnis mit der Democrazia Cristiana (DC) schließen. Nach dem Vorbild des einst aus der PSI hervorgegangenen Mussolini wollte die P2 Bettino Craxi dagegen als einen »neuen Duce« aufbauen. Doch das wurde noch nicht einmal nach der Aufdeckung der Loge 1981 bekannt, sondern erst im Ergebnis der Enthüllungen über die Korruptionsfälle Anfang der 90er Jahre, die Craxi dann eine lebenslängliche Gefängnisstrafe einbrachten und seine Partei in den Untergang führten.

Wie die Publizisten Giovanni Ruggeri und Mario Guarino in ihrem Buch »Silvio Berlusconi. Inchiesa sul Signor TV« (Mailand 1994) nachwiesen, gehörte Bettino Craxi zusammen mit Logenchef Licio Gelli, einem Altfaschisten aus der Zeit Mussolinis, und dem Mediendiktator und Chef der faschistischen Forza Italia (FI) Silvio Berlusconi zum sogenannten »Dreigestirn« der P2. Der Einfluß der Loge auf die Sozialistische Partei sei »für die Führerschaft Craxis von grundlegender Bedeutung« gewesen. Das habe sich »besonders an den riesigen Geldsummen« gezeigt, die der P2-Bankier Roberto Calvi, Präsident der Banco Ambrosiano, der Partei zukommen ließ, aber auch »an der Existenz der Schweizer Nummernkonten, auf denen die durch Korruption erwirtschafteten Gelder« gelagert wurden.

Der »Bankier Gottes«

In das Geflecht der P2 war auch der Vatikan eingebunden, und Roberto Calvi war dessen Finanzmanager, weshalb er auch »Bankier Gottes« genannt wurde. Obendrein hielt er noch die Verbindungen zur sizilianisch-amerikanischen Mafia. Damit war die P2 über die Banco Ambrosiano, wie Giorgio Galli in »Staatsgeschäfte – Affären, Skandale, Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990« (Hamburg 1994) einschätzte, ein »Begegnungszentrum zwischen Vatikan-Finanz und den innersten Gruppierungen der sizilianisch-amerikanischen Mafia«.

Über Roberto Calvi als Vertrauensmann des Vatikan wurde die P2 Partner einer im Herzen Roms existierenden, aber von den italienischen Gesetzen unabhängigen staatlichen Großmacht mit dem Papst als Oberhaupt von (damals) 800 Millionen Katholiken an der Spitze. Vor allem aber liierte sie sich mit einer Finanzmacht (damals allein mit einem Aktienbesitz von fünf Milliarden US-Dollar), deren Instrumentarium von Börsenspekulationen über Kapitaltransfer bis zur Geldwäsche schwer durchschaubare Möglichkeiten bot.

Unter die schmutzigen Geschäfte der Kurie fiel der Versuch, den italienischen Staat um 2,2 Milliarden US-Dollar Mineralölsteuer zu betrügen. Nach dem Bankrott der Ambrosiano erhoben 120 Gläubigerbanken Forderungen gegen den Vatikan. Unter anderem waren 700»Millionen US-Dollar »spurlos verschwunden«, die Roberto Calvi mittels »Patronage«-Briefen (Bürgschaften der Vatikanbank) von ausländischen Banken als Kredite erhalten hatte. Sie lagerten auf Nummernkonten der P2 in der Schweiz.

Kirchenkassen geplündert

Der Kirchenstaat mußte Verluste von 160 Millionen US-Dollar hinnehmen und darüber hinaus als Entschädigungen für seine Beteiligung an Briefkastenfirmen, die Bankchef Roberto Calvi gegründet hatte, 250 Millionen Dollar bezahlen. Um den Schaden zu begrenzen, mußte sich Johannes Paul II. persönlich verantwortlich erklären.

Der Kreis schließt sich, wenn man daran erinnert, daß der eigentliche Chef der P2 der mehrmalige Ministerpräsident Giulio Andreotti war, der am 27. März 1993 in Palermo wegen der Komplizenschaft mit der Mafia angeklagt wurde. In einem zweiten Prozeß in Perugia wurde er wegen Anstiftung zum Mord an dem von Mafia-Killern erschossenen Herausgeber des »Osservatore politico«, Mino Pecorelli, angeklagt, der seine Rolle im P2-Geflecht enthüllen wollte. Andreottis Anwälte paukten ihn in den letzten Instanzen raus.

Trotzdem bedeuteten die Prozesse den politischen Bankrott des Ex-Premiers, nicht zuletzt deshalb, weil es in Palermo einen »Freispruch zweiter Klasse« gab und festgehalten wurde, daß Giulio Andreotti der Mafia lange Zeit »freundschaftlich gesonnen« gewesen sei, was bedeutete, daß der Angeklagte nicht von jedem Verdacht freigesprochen wurde.

Nach der Aufdeckung der P2 im März 1981 floh Roberto Calvi nach London. Als er forderte, gegen ihn laufende Ermittlungen einzustellen, andernfalls er die Hintermänner nennen werde, wurde er von der Mafia umgebracht und am 18. Juni 1982 unter der Black Friars-Bridge erhängt aufgefunden.

Die große Stunde für Bettino Craxi

Im August 1983 kam die große Stunde für Bettino Craxi. Er übernahm die Geschäfte des Regierungschefs. Den Weg ebnete ihm Logenbruder Berlusconi, der sein Emporkommen zu einem der Großen des Kapitals (später überhaupt des größten Italienischen) und vor allem im Medienbereich, ebenfalls der P2 verdankte. Dieses Imperium mit seinem kaum vorstellbaren Masseneinfluß stand der PSI in der Kampagne zu den Parlamentswahlen 1983 mit dem Slogan »Craxi for President« zur Verfügung.

Bettino Craxi hatte kaum die Amtsgeschäfte übernommen, als er sich bei Berlusconi revanchierte, indem er Forderungen nach einer gesetzlichen Beschränkung von dessen Fernsehmonopol abschmetterte und das per Regierungsdekret absicherte. Damit wurde die Grundlage gelegt für den Aufstieg Berlusconis zum Medientycoon und 1994 Wahlsieger und Regierungschef, der erstmals die MSI-Faschisten in seine Regierung aufnahm. Private Anbieter mit einem nationalen Programm erhielten in dem dann 1988 verabschiedeten Gesetz 25 Prozent der Sendefrequenzen, die nur Berlusconi mit seinem Monopol von drei landesweiten Sendern nutzen konnte. Gleichzeitig wurde ihm zugestanden, Live- und Nachrichtensendungen auszustrahlen und die Beschränkung aufgehoben, neben dem Fernsehmonopol landesweite Print-Medien zu unterhalten.

Die bis 1987 währende Regierungszeit Bettino Craxis kennzeichnete eine unternehmerfreundliche Politik, die noch nicht einmal die Christdemokraten gewagt hatten. Geschickt nutzte der PSI-Chef die zunehmende Sozialdemokratisierung der PCI, um den Einfluß der Gewerkschaften zurückzudrängen. Ihre Einheitspolitik kam faktisch zum Erliegen, sie wurden auf Sozialpaktlinie gebracht.

Die Massenkämpfe der Arbeiter ebbten ab. Höhepunkt war die drastische Reduzierung der Scala mobile – der gleitenden Lohnscala –, die nach bereits vorher erfolgter prozentualer Kürzung nur noch für ein halbes Jahr gewährt wurde. Die Gewerkschaften nahmen die Liquidierung dieser herausragenden sozialen Errungenschaft zu einem Rudiment ohne Widerstand hin. Die PCI organisierte ein Referendum, bei dem sich im Juni 1985 jedoch eine Mehrheit von 54,3 Prozent für das Dekret aussprach.

Flucht nach Tunesien

In den 1992 einsetzenden Korruptionsprozessen wurde Bettino Craxi in insgesamt 41 Fällen angeklagt, darunter in einem wegen des Annehmens von 200 Millionen DM an Schmiergeldern. Auf ein Schweizer Nummernkonto hatte er selbst 600 Millionen DM überwiesen. Das Turiner Einaudi-Institut errechnete, daß die Schmiergelder der P2 sich auf jährlich zehn Milliarden Dollar beliefen und die auf Schweizer Konten gelagerten Bestechungserträge umgerechnet 30 Milliarden Dollar betrugen.

Bis 1996 wurde Bettino Craxi zu insgesamt 26 Jahren Gefängnis verurteilt. Es gelang ihm, nach Tunesien zu fliehen, wo er immense Summer aus den erhaltenen Bestechungsgeldern in die Wirtschaft investiert haben soll, wofür die Behörden seine Auslieferung nach Italien verweigerten. Im Januar 2000 verstarb er in dem Badeort Hammamat. Vom »Spiegel« (52/1999) nach seiner Haltung zur Korruption befragt, hinterließ er das Bekenntnis: »Alle haben das getan, alle haben davon gewußt«.