Ausland04. Februar 2010

Am längeren Hebel

Anhaltende Spannungen zwischen Berlin und Paris bestimmen die Sitzung des deutsch-französischen Ministerrates. Die Differenzen zwischen den Regierungen Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland betreffen unter anderem zentrale Fragen der Ökonomie und der äußeren Expansion.

Vor dem Ministerratstreffen, das am heutigen Donnerstag in Paris bereits zum zwölften Mal seit seiner Etablierung im Januar 2003 abgehalten wird, drängt die französische Regierung auf bilaterale Einigungen über diverse politische Fragen. Ende 2009 hatte Paris Initiativen gestartet, die auf enge Absprachen mit Berlin zielten, darunter der Vorschlag, einen deutsch-französischen Minister zu ernennen. Zum Jahrestag der Unterzeichnung des Elysée-Vertrags am 22. Januar 1963 hatte der französische EU-Minister Pierre Lellouche in Kooperation mit dem Staatsminister im Auswärtigen Amt Werner Hoyer eine Liste mit 16 »Leuchtturmvorschlägen« und 40 »konkreten Initiativen« vorgelegt, die der Zusammenarbeit neuen Schwung verleihen sollen. Die Liste wird bisher geheim gehalten; Kanzlerin Merkel und Präsident Sarkozy sollen beim Ministerrat eine Auswahl aus ihr bekannt geben, die dann realisiert wird. Die Tatsache, daß französische Medien recht aufmerksam, deutsche Medien hingegen fast gar nicht über das Papier berichten, läßt erahnen, daß Berlin der von Paris initiierten Vorschlagsliste keine besondere Bedeutung beimißt.

Nachteile der deutschen Niedriglohnpolitik

Die Differenzen betreffen unter anderem die Ökonomie. Französische Unternehmen klagen seit geraumer Zeit über Nachteile, die ihnen die deutsche Niedriglohnpolitik verschafft: Steigen die deutschen Exporte aufgrund der sinkenden Herstellungskosten an, verliert die Konkurrenz im Ausland. »Der Produktionsgewinn Deutschlands bedeutet einen Produktionsverlust der anderen europäischen Staaten«, beschreiben Wirtschaftskreise die Lage. Tat­sächlich erreichte das Handelsdefizit Frankreichs gegenüber Deutschland im Jahr 2008 mit beinahe 18,6 Milliarden Euro einen neuen Höchststand.

Wirtschaftsstreit gibt es weiterhin auch bei EADS; er äußert sich in diesen Tagen in neuen Auseinandersetzungen um den Militärtransporter Airbus A400M, die heute von Merkel und Sarkozy einer Klärung nähergebracht werden sollen. Ein drittes Beispiel für Machtkämpfe um ökonomische Vorteile bieten die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Siemens und Areva. Siemens hat vor geraumer Zeit angekündigt, seine Kooperation mit Areva einzustellen und stattdessen mit der russischen Atomenergoprom zusammenzuarbeiten. Areva fürchtet die deutsch-russische Konkurrenz und sperrt sich nun gegen den Verlust des deutschen Partners.

Der Vorgang ist nicht untypisch: Die deutsche Seite sitzt am längeren Hebel, da sie über Alternativen zur kerneuropäischen Kooperation mit Frankreich verfügt.

Aufteilung der Einflußsphären

Zum ökonomischen Streit gesellen sich politische Differenzen über die Prioritäten der äußeren Expansion, die jetzt virulent werden, weil der Auswärtige Dienst der EU im April etabliert werden soll. Schon seit Jahren streiten Berlin und Paris über die Afrika-Politik der EU; zuletzt brachte die deutsche Regierung die von Frankreich gewünschte EU-Intervention im Tschad zum Scheitern. Auseinandersetzungen in größerem Maßstab gab es auch um die Mittelmeerunion, die vorwiegend französische Interessen bedient – und deshalb von der BRD systematisch unterminiert wurde.

Das wohl aktuellste Beispiel für die unterschiedliche Prioritätensetzung Deutschlands und Frankreichs sind Bemühungen, in Haiti Einfluß zu nehmen. Während Paris umfangreiche Aktivitäten entfaltet und unter anderem Gendarmen in das Land entsenden will, hält sich Berlin mit eigenen Projekten bislang zurück. Haiti war einst französische Kolonie und wird von Frankreich nach wie vor zu seiner unmittelbaren Interessensphäre gezählt.

Zwar sind deutsch-französische Differenzen auch in zentralen Fragen kein neues Phänomen. Paris drängt jedoch wegen des raschen Aufstiegs der Volksrepublik China auf eine baldige Einigung. Wirtschaftskreise in Frankreich fürchten, in den kommenden Jahren uneinholbar hinter Ostasien und die USA zurückzufallen; in der französischen Wirtschaftspresse ist ausdrücklich von einer drohenden »Deklassierung Europas« die Rede. Zwar wolle er nicht schwarzmalen, heißt es in einem Namensartikel des Pariser EU-Ministers, doch eine »Marginalisierung Europas« drohe in der Tat. Nur rasche und entschiedene Schritte der EU könnten den Abstieg verhindern. Dies aber setze voraus, daß die beiden Zentralmächte Deutschland und Frankreich jetzt am selben Strang zögen.

Dabei läßt Lellouche keinen Zweifel, daß Paris seine Interessen durchzusetzen sucht. Wie der EU-Minister erklärt, hält er es nicht nur für seine Aufgabe, »die Positionen der französischen Regierung nach Brüssel zu übermitteln«. Er wolle zudem veranlassen – »an der Seite des Präsidenten der Republik« –, daß Frankreich »sich die europäische Maschine zu Nutzen macht, daß das Land sich ihrer bedient, um seine Interessen zu verteidigen«. Damit erklärt Paris eine Praxis zum Ziel, die Berlin seit je verfolgt – über Brüssel die eigenen Vorhaben durchzusetzen.

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