Ausland29. Oktober 2020

Das Lithium und der Putsch

Die deutsche Bundesregierung nimmt erneut Zugriff auf die weltgrößten Lithiumvorräte in Bolivien ins Visier. Zuvor hatte es dort Putschisten den Rücken gestärkt.

Nach der Präsidentenwahl in Bolivien hoffen Berlin und deutsche Wirtschaftskreise auf direkten Zugriff auf die vermutlich größten Lithiumlagerstätten der Welt. Schon Ende 2018 hatte das deutsche Unternehmen ACI Systems ein Joint Venture mit der staatlichen bolivianischen YLB schließen können, um das Lithium im Salar de Uyuni zu fördern, dem größten Salzsee der Erde im bolivianischen Hochland.

Lithium ist für die Produktion von Batterien, wie sie etwa in Elektroautos verwendet werden, unverzichtbar und von speziellem Wert für die deutsche Kfz-Industrie. Das deutsch-bolivianische Joint Venture war allerdings Anfang November vergangenen Jahres im Verlauf schwerer Unruhen in Bolivien auf Eis gelegt und nach dem Putsch in La Paz vom 10. November 2019 nicht wieder aufgenommen worden – dies, obwohl die deutsche Bundesregierung dem Putschregime den Rücken stärkte.

Ein deutsch-bolivianisches Joint Venture

Den Zugriff auf die gewaltigen Lithiumvorkommen im Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Erde, hatte sich Mitte Dezember 2018 der deutsche Mittelständler ACI Systems aus Zimmern ob Rottweil (Baden-Württemberg) sichern können. Dazu hatten der Firmenableger ACISA (ACI Systems Alemania) und die staatliche bolivianische YLB (»Yacimientos de Litio Bolivianos«, »Bolivianische Lithiumvorkommen«) ein Joint Venture gegründet, an dem YLB die knappe Mehrheit von 51 Prozent hielt. ACI Systems hatte dabei von politischer Unterstützung profitiert: Die deutsche Bundesregierung wünscht einen direkten deutschen Zugriff auf Lithium, weil der Rohstoff für die Produktion von Batterien für Elektroautos, damit aber auch für die deutsche Kfz-Industrie unverzichtbar ist.

Allerdings hatte die damalige Regierung in La Paz unter Präsident Evo Morales strikt darauf gedrungen, daß ACISA den Rohstoff nicht unverarbeitet exportiert, sondern daß das Lithium in Bolivien weiterverarbeitet und daß mit Hilfe des deutschen Unternehmens auch eine Batterieproduktion im Land selbst aufgebaut wird. Ziel war es, einen größtmöglichen Teil der Wertschöpfung vor Ort zu realisieren, um den Wirtschaftsaufbau vorantreiben und die Armut im Land wirksam bekämpfen zu können.

Auf Eis gelegt

Schwierigkeiten ergaben sich im Herbst 2019. Damals protestierten im Departement Potosí im bolivianischen Hochland, in dem der Salar de Uyuni liegt, lokale Bürgerkomitees gegen den Lithiumabbau, weil sie erhebliche Umweltschäden etwa mit Auswirkungen auf das Grundwasser befürchteten und sich von dem ACISA/YLB-Joint Venture finanziell übervorteilt sahen. Die Proteste fielen zeitlich zusammen mit dem Wahlkampf und der Durchführung der Präsidentenwahl am 20. Oktober 2019, nach der die eindeutig unterlegene rechte Opposition unter dem Vorwand, es habe massive Fälschungen gegeben, breite Unruhen gegen Präsident Morales organisierte. Unter heftigen Druck geraten, legte Evo Morales das Projekt vorläufig auf Eis; geplant war, wie unter Berufung auf ihn berichtet wurde, »bis Ende des Jahres in Uyuni eine autonome Region zu schaffen und das Problem damit zu lösen«.

Der Plan scheiterte, weil die rechte Opposition – angeführt von wohlhabenden Weißen, nicht zuletzt Großgrundbesitzern, aus dem bolivianischen Tiefland – die Unruhen gewalttätig eskalierte und Evo Morales, den politischen Vertreter der verarmten indigenen Bevölkerungsmehrheit vor allem aus dem Hochland, schließlich per Putsch aus dem Amt jagte. Damit steckte auch das deutsche Lithiumprojekt fest.

Die Legitimation für den Putsch

An der Behauptung der Putschisten, Evo Morales habe die Wahl massiv fälschen lassen, sind von Anfang an begründete selbst in bürgerlichen Medien Zweifel laut geworden. Dies wiegt schwer, denn die Behauptung wurde von der – unter klarem Einfluß der USA-Regierung stehenden – Organization of American States (OAS), die die Wahl beobachtet hatte, bestätigt, was von westlichen Staaten als Legitimation genutzt wurde, den Sturz von Präsident Evo Morales zu billigen. Mittlerweile kann sie allerdings als widerlegt gelten.

Bereits im Juni wurde eine wissenschaftliche Studie bekannt, die nachweist, daß statistische Besonderheiten, die die OAS fehlerhaft als angeblichen Beleg für Wahlfälschungen heranzog, tatsächlich aus dem normalen Wahlablauf in abgelegenen ländlichen Regionen erklärbar sind. In der vergangenen Woche hat nun das Washingtoner Center for Economic and Policy Research (CEPR) aus einem Vergleich der diesjährigen Wahlergebnisse mit den inkriminierten Resultaten des Vorjahres gleichfalls den Schluß gezogen, die Fälschungsvorwürfe seien aus der Luft gegriffen gewesen.

Dazu verweist das CEPR darauf, daß Luis Arce, der Spitzenkandidat der Bewegung zum Sozialismus (MAS), dieses Jahr in manchen indigenen Wahlbezirken des Hochlandes mehr als 90 Prozent erzielen konnte. Dies war – politisch leicht erklärlich – im vergangenen Jahr auch Evo Morales gelungen, damals aber von der OAS als »unwiderlegbarer Beweis für Wahlfälschungen« angeführt worden. Evo Morales zieht jetzt in Betracht, den verantwortlichen OAS-Generalsekretär Luis Almagro vor den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zu bringen.

»Die richtige Entscheidung des Militärs«

Auch die deutsche Bundesregierung sowie Teile der Opposition hatten sich im vergangenen Jahr offen auf die Seite der bolivianischen Putschisten geschlagen. Unmittelbar nach Morales’ Sturz behauptete Regierungssprecher Steffen Seibert, dieser sei ein »wichtiger Schritt hin zu einer friedlichen Lösung«. Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, erklärte, »das Militär« habe »die richtige Entscheidung getroffen, sich auf die Seite der Demonstrierenden zu stellen«. Auf die Frage der Linksfraktion im Bundestag, ob sie die in La Paz amtierende Putschpräsidentin Jeanine Áñez »als rechtmäßige Interimspräsidentin Boliviens« anerkenne, teilte die deutsche Bundesregierung im Januar 2020 mit, sie begrüße, »daß das Machtvakuum« in dem Land »durch Ausrufen von Jeanine Áñez zur Übergangspräsidentin beendet wurde«.

Diesem Urteil stand auch nicht entgegen, daß Polizei und Armee mit brutaler Gewalt gegen Mitglieder und Unterstützer der MAS vorgegangen waren und bei deren Demonstrationen alleine in den Orten Sacaba (Cochabamba) und Senkata (El Alto) mindestens 19 Menschen von den Repressionskräften getötet worden waren.

Die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, die chilenische Sozialistin Michelle Bachelet, hat im August erklärt, sie sei »zutiefst besorgt«, daß die Fälle immer noch nicht aufgeklärt worden seien und für mutmaßliche Verbrechen der Repressionsapparate unter Áñez Straffreiheit herrsche. Berlin, das sich bei politischer Opportunität stets als »Vorkämpfer für die Menschenrechte weltweit« inszeniert, schweigt.

Vor der Wiederaufnahme

Seit dem haushohen Wahlsieg von Luis Arce, dem Kandidaten der Partei Movimiento al Socialismo (MAS) und früheren Wirtschaftsminister unter Präsident Evo Morales, bei der Präsidentenwahl am 18. Oktober – Arce gewann bereits im ersten Wahlgang mit 55,1 Prozent der Stimmen vor seinem weit abgeschlagenen Hauptrivalen Carlos Mesa (28,8 Prozent) – nehmen deutsche Medien jetzt wieder die Chance ins Visier, einen direkten Zugriff auf das bolivianische Lithium zu erhalten. Das Berliner Bundeswirtschaftsministerium sowie das Auswärtige Amt hatten das Rohstoffprojekt von ACI Systems im vergangenen Jahr begleitet, »auf Arbeitsebene«, wie die Bundesregierung bestätigt.

Luis Arce hatte bereits vor seinem Wahlsieg zu erkennen gegeben, er wolle das Vorhaben nach Möglichkeit gemeinsam mit der deutschen Firma wieder aufnehmen. Jetzt hat er mitgeteilt, »die lokalen Organisationen« im Departement Potosí wollten »einen größeren Anteil« am Ertrag »und eine kürzere Vertragsdauer«: »Wenn die deutsche Firma die Bedingungen anpaßt, dann setzen wir die Zusammenarbeit fort.« Weigere sich ACI Systems allerdings, dies zu tun, dann »gibt es andere Partner, mit denen wir die Verarbeitung von Lithium vorantreiben können«. Die bolivianische Lithiumförderung hänge »nicht von einer einzelnen Firma ab«.

German Foreign Policy

Arbeiter füllen im Juni 2017 in einer Pilotanlage am Salzsee von Uyuni in Bolivien Lithiumkarbonat in 20-Kilogramm-Säcke ein (Foto: Georg Ismar/dpa)