»…während man sich die Realität zurechtbiegt«
Die Demokratische Partei der USA im Wahlkampf gegen Trump und die »MAGA«-Bewegung. Interview mit Bill Fletcher Jr.
Bill Fletcher ist seit 50 Jahren als Bürgerrechtler und Gewerkschafter aktiv, 1996-2001 in der Führung des Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO. Unser Korrespondent Max Böhnel sprach mit ihm am Rande des Nominierungskongresses der Demokratischen Partei der USA in Chicago.
Wie ist die Demokratische Partei heute aufgestellt? Ist sie nach links gerückt?
Vorwegschicken müßte man, daß die Demokratische Partei keine Partei ist, sondern ein Bündnis, vergleichbar mit einem Wahlbündnis europäischen Zuschnitts. Dabei funktionieren die Fraktionen innerhalb der Organisation fast wie politische Parteien.
Gerungen wird bei den Demokraten zwischen den Befürwortern eines wirtschaftlichen Neoliberalismus und denjenigen, die einen postneoliberalen Wirtschaftsansatz suchen. Einige, und dazu zählt Biden, haben Elemente des Keynesianismus aufgenommen und wollen zu ihm zurückkehren.
Wieder andere wie Bernie Sanders im Senat und die progressiven Linken im Abgeordnetenhaus wollen weiter gehen und vertreten linkssozialdemokratische Ansätze. Keine dieser Positionen ist dominant. Jedenfalls läßt sich sagen, daß Biden mit Obamas Neoliberalismus gebrochen hat. Eine Reihe von Gesetzen, die er durchgesetzt hat, unterstreicht das, etwa der Infrastrukturdeal.
Wird Kamala Harris in Bidens Fußstapfen treten?
Neoliberale wie die Clintons und andere üben nach wie vor Einfluß aus trotz des Scherbenhaufens, den sie angerichtet haben. Nun hätte sich Harris aus diesem Lager einen sogenannten »gemäßigten« Running Mate aussuchen können. Aber mit Tim Walz entschied sie sich für einen echten Fan der Gewerkschaftsbewegung.
Er hat anscheinend auch einen weit gefaßten und progressiven Begriff von sozialer und wirtschaftlicher Gerechtigkeit, wie seine politische Biographie zeigt. Daß Harris ihn zu ihrem Stellvertreter gemacht hat, ist mehr als Symbolpolitik. Denn so jemand ist wichtig für den Wahlkampf gegen Trump und die »MAGA«-Bewegung, auch für die Zeit nach den Wahlen.
Möglicherweise wenden sich die Demokraten tatsächlich wieder der Arbeiterklasse zu. In manchen Bereichen sind sie also nach links gerückt. Außenpolitisch hat sich allerdings keine Veränderung ergeben. Die Unterstützung Israels und die Waffenlieferungen dorthin sind ein Beispiel dafür.
Denken die Demokraten über den Wahlkampf und den Wahlgang am 5. November hinaus? Was tun sie, wenn Trump die Wahlen gewinnt?
Das ist leider nicht eindeutig zu beantworten. Nehmen wir das »Project 2025«, vor dem die Demokraten und Biden erst seit zwei Monaten warnen. Dabei war es schon weit vorher bekannt. Erst als Prominente darauf aufmerksam machten, schlossen sich Massenmedien und führende Demokraten den Warnungen an.
Auch der Dachgewerkschaftsverband AFL-CIO hat inzwischen eine Webseite dazu eingerichtet, die über die autoritären Vorhaben der Trumpisten beim Staats- und Gesellschaftsumbau aufklärt. Spät, aber hoffentlich nicht zu spät.
Auch auf der rechtlichen Ebene werden Vorbereitungen getroffen, um sich gegen rechtsradikale Tricksereien um den Wahltag herum zu wappnen. Insgesamt aber haben Viele immer noch nicht begriffen, wie gefährlich der rechte Autoritarismus ist.
Die Republikanische Partei hat sich zu einer Partei der rechten Diktatur konsolidiert. Sie will die Errungenschaften des 20. Jahrhundert abschaffen, nicht nur auf wirtschaftlicher Ebene. Es geht um das Wahlrecht, die Kontrolle von Frauen über ihre Körper, um die Umwelt. Die Alarmglocken müßten überall läuten, der notwendige Widerstand würde den Demokraten maximale Einsatzbereitschaft abverlangen. Aber die sehe ich nicht, übrigens auch bei etlichen Linken nicht.
Auch bei Linken nicht? Woran messen Sie das?
Bis vor ein paar Jahren wurde in erheblichen Teilen der Linken der USA die Gefahr von ganz rechts übersehen beziehungsweise geleugnet. Ein sehr beliebtes Argument lautete, die zentristischen Demokraten würden die Gefahr von rechts übertrieben darstellen, um von ihrem eigenen Neoliberalismus abzulenken.
Zu ändern begann sich diese Denkart erst, als Trump ins Weiße Haus einzog, und dann noch stärker aufgrund des Schocks über den Putschversuch vom 6. Januar 2021. Die Leugner sind zwar weniger geworden, aber immer noch ein Faktor, leider auch in der mitgliederstärksten linken Gruppierung in den USA, den »Democratic Socialists of America«.
Ein weiteres Problem ist der naive Glaube, dem viele Linksliberale und auch so manche radikale Linke anhängen, daß die Institutionen der Demokratie in den USA diesen verrückten Faschisten schon irgendwie standhalten würden beziehungsweise daß der Kapitalismus sie schon zähmen würde.
Es ist ähnlich wie beim Umgang mit der Klimakatastrophe, deren Ausmaße sie sich nicht richtig ausmalen mögen. Einfacher ist es dann, in Passivität und Fatalismus zu verfallen, während man sich die Realität zurechtbiegt.